Erster nationaler Sachstandsbericht zu Gesundheit, Demographie und Klimawandel

Der Klimawandel bringt gravierende Folgen für die menschliche Gesundheit mit sich. Dieses Ergebnis zeigt der europaweit erste nationale Sachstandsbericht zu Gesundheit, Demographie und Klimawandel, der vor Kurzem veröffentlicht wurde. Was es jetzt braucht, ist eine gut aufeinander abgestimmte Klima- und Gesundheitspolitik, um die Gesundheit und Lebensqualität langfristig zu sichern.

Titelblatt des Sachstandsberichts

Dass der Klimawandel gesundheitliche Auswirkungen mit sich bringt, ist unbestritten und bereits heute spürbar. Diese Risiken werden sich in Zukunft noch deutlich erhöhen und durch den demographischen Wandel zudem verstärkt.

Der erste nationale Sachstandsbericht Gesundheit, Demographie und Klimawandel wurde im Auftrag des Klima- und Energiefonds erstellt und vor kurzem von Bundesministerin Köstinger, dem Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds Ingmar Höbarth sowie Projektleiter Willi Haas der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein mehr als 60 Personen zählendes Forscherteam hat diese erste umfassende Erhebung, Zusammenfassung und Bewertung des aktuellen Standes der Forschung zu den komplexen Beziehungen zwischen Gesundheit, Demographie und Klimawandel in Österreich erstellt. Mit dieser Meta-Studie ist Österreich europaweit Vorreiter.

Bereits der 2014 veröffentlichte Österreichische Sachstandsbericht Klimawandel hat die Relevanz des Klimawandels für die Gesundheit verdeutlicht. Der nun vorliegende Special Report nimmt sich dem Thema im Detail an und berücksichtigt auch neuere Studien.

Hitze, Allergien, Wetterextreme und neue invasive Insektenarten

Im Bericht werden vier Kernbereiche hervorgehoben, auf die wir uns in den nächsten Jahren konzentrieren müssen: Hitze, Allergien, Extremwetterereignisse und neue invasive Insektenarten. Insbesondere Hitze zählt zu den wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels in Österreich mit direkten Folgen für die Gesundheit. Hitzewellen werden mit fortschreitendem Klimawandel häufiger und intensiver auftreten. Bis Mitte des Jahrhunderts wird sich laut dem Bericht die Zahl der Hitzetage (Tage mit mindestens 30 °C) verdoppeln. Derzeit werden jährlich schon mehrere hundert Todesfälle in Folge von Hitze in Österreich beobachtet. Hinzu kommt, dass die zunehmende Alterung der Bevölkerung das Problem noch deutlich verschärft. Insbesondere die fehlende nächtliche Abkühlung führt in vielen Gebieten zu stark erhöhten gesundheitlichen Risiken. Ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen sind besonders vulnerabel, ökonomisch Schwächere bzw. Migrantinnen und Migranten sind oft aufgrund ihrer Wohnsituation (dichte Bebauung, wenig Grün) stärker betroffen.

Aber der Klimawandel wirkt auch indirekt durch die Veränderung natürlicher Systeme, wie z.B. die vermehrte Freisetzung von Allergenen oder günstigere Lebensbedingungen für krankheitsübertragende Organismen. Dabei ist laut dem Bericht mit einer Saisonverlängerung, einem stärkeren Auftreten bereits heimischer allergener Pflanzen und der Einwanderung neuer allergener Pflanzen und Tierarten zu rechnen. Beispielsweise wird eine wesentliche Zunahme der Pollenbelastung durch Ragweed (Ambrosia artemisiifolia) erwartet, die durch erhöhte Luftfeuchte sowie „Düngewirkung“ durch CO2 und Stickoxide verstärkt wird. Erwartet werden zunehmende Atemwegserkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma oder COPD. Vor allem in urbanen Räumen ist im Zusammenspiel mit Luftschadstoffen mit einer gesteigerten allergenen Pollenagressivität zu rechnen. Bereits jetzt leiden 1,75 Mio. Menschen in Österreich an Allergien, Tendenz steigend. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass in zehn Jahren bis zu 50 Prozent der europäischen Bevölkerung an Allergien leiden werden.

Durch den fortschreitenden Klimawandel finden krankheitsübertragende invasive Arten künftig auch hierzulande bessere Überlebensbedingungen. Dazu zählen beispielsweise Stechmücken wie die asiatische Tigermücke, die japanische Buschmücke oder auch Buntzecken. Übertragungswege für diverse bisher exotische Krankheiten wie West-Nil-, Krim-Kongo-Hämorrhagischer-Fieber-Virus oder Usutu-Virus werden zunehmend wahrscheinlicher.

Welche Maßnahmen können gesetzt werden?

Neben den Herausforderungen und den gesundheitsrelevanten Änderungen des Klimas befasst sich der Sachstandsbericht aber auch mit Lösungswegen, die dazu beitragen, die Bevölkerung vor direkten und indirekten gesundheitlichen Folgen zu schützen und zukünftige Schäden für die menschliche Gesundheit möglichst abzuwenden. Als zentrale Handlungsoptionen werden u.a. folgende konkrete Maßnahmen vorgeschlagen:

Hitze 

  • Städteplanerische Maßnahmen zur Entschärfung von Hitzeinseln
  • Begrünungen
  • Schaffung besserer Winddurchzugsschneisen
  • Begünstigung nächtlicher Abkühlung
  • Reduktion der Luftschadstoffe
  • Evaluation der Hitzewarnsysteme mit Fokus auf die Erreichbarkeit schwer zugänglicher Personen (z.B. ältere Menschen ohne Internetzugang)

Extreme Niederschläge, Trockenheit, Stürme  

  • genaue Ereignisdokumentationen
  • Stärkung der Eigenvorsorge und ein gutes Zusammenspiel des Risikomanagements von öffentlichen und privaten Akteurinnen und Akteuren
  • Beteiligung unterschiedlichster, heterogener Gruppen bei der Erstellung effektiver Krisenschutzpläne

Allergene Pflanzen

  • Bundesweites Monitoring allergener Pflanzen
  • Konsequente Bekämpfung von stark allergenen Pflanzen (z.B. Mähen oder Jäten vor der Samenbildung)
  • Rechtliche Verankerung der Bekämpfungsmaßnahmen unter Einbeziehung zentraler Akteursgruppen

Infektionserkrankungen

  • Förderung der Früherkennung (u.a. durch Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung oder durch die Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenz der Gesundheitsberufe)
  • Evaluierung und Wissensaustausch auf internationaler Ebene
  • Gezielte Bekämpfung gefährlicher Arten

Neben den Maßnahmen, die auf die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit abzielen, sind aber auch Ansätze, welche gezielt die Anfälligkeit der Bevölkerung reduzieren, von Bedeutung. Hier werden etwa gezielte Maßnahmen zur Stärkung der (klimabezogenen) Gesundheitskompetenz von Gesundheitspersonal, aber auch besonders vulnerabler Zielgruppen genannt, die etwa durch persönliche Gespräche bzw. Beratung oder gezielte Bildungsmaßnahmen erreicht werden.

Aber auch jeder Einzelne von uns kann etwas tun. Insbesondere in den Bereichen Ernährung, Mobilität oder Wohnen können Verhaltensänderungen sowohl für das Klima als auch für die Gesundheit einen Nutzen bringen. So wirkt sich beispielsweise eine stärkere pflanzliche Ernährungsweise spürbar auf die Gesundheit aus und kann gleichzeitig die ernährungsbezogenen Treibhausgasemissionen dramatisch reduzieren. Ein aktiveres Mobilitätsverhalten durch mehr Radfahren und/oder Zufußgehen reduziert nicht nur den Ausstoß von CO2, sondern auch von Luftschadstoffen und führt vor allem zu mehr gesundheitsförderlicher Bewegung im Alltag.

Die endgültige Version des Berichts wird in Buchform im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen und wird sowohl im Buchhandel als auch unter www.apcc.ac.at erhältlich sein. (AF, Oktober 2018)

Gruppenbild bei der Präsentation des Reports
Am 13.09.18 wurde der erste nationale APCC Special Reports Gesundheit, Demographie und Klimawandel präsentiert

Statements  aus dem Projektteam:

Wie kann der Bericht dazu beitragen, Klimaschutz und Anpassung voranzubringen?

Dr. Willi Haas (Universität für Bodenkultur Wien)

Projektleiter und Projektkoordination

Gesundheit ist ein wirkmächtiger Antrieb für Klimapolitik. Während das Klima abstrakt ist und Diskussionen oft durch den moralischen Zeigefinger verschrecken, ist die Gesundheit greifbar und alle sind direkt betroffen. Klimamaßnahmen generell können von einer Erweiterung der Entwicklung der individuellen und professionellen Gesundheitskompetenz um klimaspezifische Aspekte wie Umgang mit mehr Hitze oder gesunde und klimafreundliche Mobilität und Ernährung profitieren. Umgekehrt werden im Gesundheitsbereich die Klimafolgen gerne übersehen, und, dass der Gesundheitssektor selbst durch seine THG-Emissionen auch Gesundheit gefährdet. Demographische Dynamiken und gesundheitliche Ungleichheit sind bislang unterbelichtet aber zentral. Schließlich sind speziell sogenannte gesundheitliche Co-Benefits des Klimaschutzes ein vielversprechender Ansatzpunkt, um eine Transformation einzuleiten.“

Inwieweit gefährdet der Klimawandel die menschliche Gesundheit?  

Doz. Dr. Hanns Mooshammer (Medizinische Universität Wien, Zentrum für Public Health)

Co-Chair

Der Klimawandel wurde als die größte Public-Health-Bedrohung des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Zwar sind Menschen in einem weiten Temperaturbereich anpassungsfähig. Bereits jetzt gibt es Weltgegenden, wo Menschen und die meisten Säugetiere nicht das ganze Jahr über ohne technische Hilfsmittel (Klimatisierung) überleben können, wobei neben der Temperatur der Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle zukommt. Gebiete, die zu heiß zum permanenten Leben sind, werden sich in Zukunft ausdehnen. Unmittelbare Auswirkungen extremer Wetterereignisse gefährden schon bisher die Gesundheit. Hitzewellen, die an Häufigkeit und Intensität zunehmen werden, führen zu einer Übersterblichkeit. Mit der steigenden Zahl älterer Menschen steigt die Vulnerabilität. Zwar sterben immer noch mehr Menschen in der kalten Jahreshälfte. Der Klimawandel wird diese Winterübersterblichkeit aber weniger reduzieren als er die Hitzesterblichkeit erhöhen wird. Unter den indirekten Wirkungen steht vor allem die Ausbreitung von Infektionskrankheiten im medialen Interesse. Tatsächlich wird der Klimawandel Auswirkungen auf Krankheiten haben, die durch Lebensmittel, Trinkwasser oder Arthropoden übertragen werden. Für die Gesundheitslast bedeutender ist die Belastung durch Luftschadstoffe, wobei allerdings der Einfluss des Klimawandels auf diese noch sehr unsicher ist. Österreich wird auch mit Klimafolgen in anderen Weltgegenden konfrontiert, sei es bei Hilfseinsätzen vor Ort oder durch Klimaflüchtlinge. Der globale Wandel wird das österreichische Gesundheitssystem vor neue und große Herausforderungen stellen.“   

Wie hängen Klimawandel, demographische Entwicklung und Gesundheit zusammen?

Dr. Erich Striessnig (IIASA, VID/ÖAW, WU)

Leitautor Kapitel 2: Veränderung der Gesundheitsdeterminanten (Fokus Demographie)

Der Klimawandelt wirkt sich nicht nur auf unsere Umwelt, sondern in weiterer Folge auch auf die menschliche Gesundheit aus. Die sich gleichzeitig verändernde demographische Zusammensetzung der Bevölkerung spielt für die Analyse der Auswirkungen eine wichtige Rolle, da sich Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrer Vulnerabilität unterscheiden: ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderung, Minderheiten und Personen mit niedrigem Einkommen, die aufgrund struktureller, rechtlicher und kultureller Barrieren oft nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsinfrastruktur haben, gelten als besonders vulnerabel. Infolge der fortschreitenden demographischen Alterung ist damit zu rechnen, dass ein zunehmender Anteil der Bevölkerung Teil der Risikogruppe wird. Bedingt durch die erhöhte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, Präventionskosten, Produktivitätsausfälle (Krankenstände), direkte Schäden und erhöhtes Investitionsaufkommen führt der Klimawandel unumstritten auch zu ökonomischen Folgekosten. Um die zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels gering zu halten, sind rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen zu treffen, welche den spezifischen Vulnerabilitätsmustern unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gerecht werden. Die Nicht-Berücksichtigung demographischer Faktoren kann zu fehlgeleiteten Politikmaßnahmen führen.“    

Wer ist in der Anpassung an die Folgen des Klimawandels besonders gefordert?

Dr. Maria Balas (Umweltbundesamt GmbH)

Leitautorin Kapitel 4: Maßnahmen mit Relevanz für Gesundheit und Klima

Der Bericht veranschaulicht ausführlich den Handlungsbedarf, um die Bevölkerung vor den bereits spürbaren und noch massiver werdenden gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu schützen. Wie sich die Folgen letztendlich auf die Gesundheit auswirken werden, wird ganz essentiell davon abhängen, welche Maßnahmen zur Anpassung ergriffen werden. Die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen ist eine Aufgabe aller: von Bund, den Bundesländern, dem Gesundheitssystem, unterschiedlichsten Sektoren (wie z.B. Raum- und Stadtplanung, Bausektor, Katastrophenschutz, Landwirtschaft), der Wirtschaft, Bildungseinrichtungen, jeder/jedem Einzelnen. So braucht es bei Hitze nicht nur unterschiedliche Hitzewarnsysteme und konkrete zielgruppengerechte Verhaltenstipps. Es braucht auch mehr Grün in dicht verbauten Siedlungsgebieten, sei es durch Parks, Baumpflanzungen, Fassaden- oder Dachbegrünung und klimaverträgliche Kühltechnologien. Das Thema Klimawandel und Gesundheit sollte auch in die Aus-und Weiterbildung aller im Gesundheitsbereich tätigen Personen integriert und generell in der Schulbildung verankert werden.“  

Was ist aus Ihrer Sicht die Kernbotschaft aus dem Bericht?  

Prof. Helga Kromp-Kolb (Universität für Bodenkultur Wien)

Leitautorin Kapitel 5: Zusammenschau und Schlussfolgerungen

Der APCC Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel hat gezeigt, wie sehr Klimaschutzmaßnahmen mit gesundheitspolitisch wichtigen Maßnahmen Hand-in-Hand gehen können. Dies gilt für die Ernährung, die Mobilität und den Gebäudesektor gleichermaßen. Klimapolitik leidet darunter, dass Politiker die vorteilhaften Wirkungen ihrer teils einschneidenden, aber notwendigen Maßnahmen in ihrer Funktionsperiode nicht mehr erleben. Der Vorteil der gemeinsamen Betrachtungen ist, dass die positiven Wirkungen auf dem Gesundheitssektor sich sehr rasch einstellen, sodass Klimaschutz als Nebenwirkung einer gesundheitlich positiven Maßnahme verstanden werden kann.“