Klimagerechtigkeit: eine zentrale Zukunftsfrage für die Klimapolitik

Gerechtigkeit ist eine relevante Dimension für Fragen der Klimawandelanpassung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. So sind beispielsweise die Auswirkungen von Klimafolgen wie Hitze sozialräumlich sehr ungleich verteilt. Das birgt Gesundheitsrisiken und politische Spannung, weshalb eine Auseinandersetzung mit Fragen der Umwelt- und Klimagerechtigkeit an der Zeit ist.

Foto Statue Justitia

Gerechtigkeit ist ein Thema, das viele Menschen nicht sofort in Zusammenhang mit dem Klimawandel bringen. So ergab beispielsweise eine aktuelle Studie von Climate Outreach (10/2022), dass die Mehrheit der 6.000 befragten jungen Menschen (18-35 Jahre) aus sechs europäischen Ländern den Klimawandel in erster Linie als naturwissenschaftlich-technisches Thema beschreibt und kaum eine Verbindung sieht zwischen dem Klimawandel und Faktoren sozialer Ungleichheit, wie zum Beispiel Alter, Gender, Reichtum oder Herkunft.

Klimagerechtigkeit knüpft an gesellschaftlichen Ebenen an

Dabei verschärft der Klimawandel bestehende Ungleichheiten, indem er einkommensschwache und marginalisierte Menschen unverhältnismäßig stark trifft, also genau diejenigen, die am wenigsten für die Treiber des Klimawandels verantwortlich sind. Diese historischen und aktuellen Ungerechtigkeiten werden thematisiert, wenn von Klimagerechtigkeit die Rede ist. Klimagerechtigkeit betrachtet den Klimawandel als ein Problem, das unser gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches System betrifft und setzt sich für Veränderungen der bestehenden sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse ein. Unter anderem soll die Macht in Entscheidungsprozessen neu verteilt werden. Hierbei sollen die am stärksten betroffenen Menschen im Mittelpunkt stehen. Dieser Aspekt wird in Fachkreisen prozedurale Dimension genannt. Betroffene Menschen sollen mitbestimmen können, wenn es beispielsweise um die Gestaltung von Anpassungsmaßnahmen geht, denn oftmals werden ihre Bedürfnisse bei Entscheidungen kaum berücksichtigt. Ein weiterer Aspekt ist die Verteilungsgerechtigkeit der Lasten des Klimawandels – wie Hitze, Dürre und Meeresspiegelanstieg – entlang historisch ungleicher sozialer, ethnischer und geschlechtlicher Verhältnisse. Dies bezeichnet die distributionale Dimension. So haben wohlhabende Menschen, Regionen, Stadtviertel oder Gemeinden viel bessere Möglichkeiten, sich an Klimafolgen anzupassen und sind damit viel weniger stark von deren Auswirkungen betroffen. Darüber hinaus ist auch die ungleiche Klimabetroffenheit zwischen den Generationen (intergenerationale Dimension) von Bedeutung, wie Aktivist:innen von Fridays for Future oder der Letzten Generation vor Augen führen, unter anderem mit der Klimaklage. In Österreich werden aber auch historische Ungerechtigkeiten weitergeschrieben, beispielsweise, indem durch globale Lieferketten der CO2-Ausstoß sowie andere Mensch-Umweltbelastungen (Kinderarbeit, fehlender Arbeitsschutz, Schadstoffe, Umweltschäden durch Rohstoffabbau, und so weiter) von in Österreich konsumierten Produkten in den Globalen Süden ausgelagert werden.

Hier wird bereits ersichtlich, wie eng Klimapolitik mit dem Begriff der Umweltgerechtigkeit verbunden ist. Dieser thematisiert die ungleiche soziale Verteilung von Umweltbelastungen und -ressourcen sowie die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Der Fokus liegt dabei oft auf der städtischen Raumplanung, da insbesondere einkommensschwache Menschen in der Stadt oft unter 

Mehrfachbelastungen von Hitze, Lärm, Lichtverschmutzung, mangelndem Grünraum, Luftschadstoffen und sozialen Benachteiligungen leben. Anders gesagt: Wer in einer 50m2 Wohnung in Wien Favoriten wohnt, leidet mit höherer Wahrscheinlichkeit viel stärker unter Hitze als jemand in einer 120m2 Wohnung mit Garten in Döbling. Das drückt sich auch in der Lebenserwartung aus. Aus diesem Grund formulierte das deutsche Umweltbundesamt kürzlich entsprechende Handlungsempfehlungen für umweltgerechte Innenstädte und die Stadt Berlin veröffentlichte einen Umweltgerechtigkeitsatlas. Eine solche Wissensgrundlage erleichtert die Gestaltung gerechter Klimawandelanpassungsmaßnahmen und sollte deshalb auch in Österreich berücksichtig werden.

Verständnis von Klimagerechtigkeit in Österreich

In Österreich wird das Thema Gerechtigkeit in Zusammenhang mit dem Klimawandel bislang auf sehr unterschiedliche Weise adressiert. Einerseits gibt es NGOs und soziale Bewegungen wie Attac, Fridays for Future, das Klimabündnis, Südwind, den WWF oder die Dachorganisation Allianz Klimagerechtigkeit, die davor warnen, den Klimawandel als allgemeines globales Problem zu verharmlosen. Denn dabei werden teils extreme soziale und räumliche Unterschiede in der historischen Verursachung, der Betroffenheit und der Reaktionsmöglichkeiten verschleiert. Andererseits veröffentlichte das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) kürzlich einen Aktionsplan mit dem Titel „Just Transition“, der eine Ausbildungsoffensive für Berufe in grünen Technologien vorsieht. Wie weit der Begriff Gerechtigkeit gefasst wird, wie politisch er verstanden wird und auf welche Handlungsfelder er bezogen wird, ist also durchaus sehr verschieden. 

Für Österreich liegen die Handlungsfelder in puncto Klimagerechtigkeit laut WWF vor allem in den Bereichen Energie und Industrie, Verkehr, Landwirtschaft sowie Gebäude und deren Beheizung. Dabei sei die zentrale Herausforderung eine Veränderung des bestehenden Wirtschaftssystems, der Politik sowie der Gesellschaft. Die vorgeschlagenen Lösungen würden dabei in einem stärkeren Engagement von Zivilgesellschaft und Politik sowie in Bewusstseinsbildung liegen. Folgt man hingegen Attac, sind die Herausforderungen ein auf Wachstum und Konkurrenz ausgerichteter Kapitalismus sowie die geopolitischen Machtverhältnisse, die die Interessen von Eliten schützen. Die Lösungen hierfür liegen laut Attac in einer demokratischen, ökologischen und dezentralen Energieversorgung, in einem kleinstrukturierten Agrar- und Lebensmittelsystem nach dem Leitbild der Ernährungssouveränität, in einem bedürfnisorientierten Wirtschaftssystem sowie in Entschädigungszahlungen an Länder des globalen Südens. Diese beispielhafte Gegenüberstellung zeigt, wie sehr die konkrete Ausgestaltung von Klimagerechtigkeit von verschiedenen Perspektiven abhängt.

Klimagerechtigkeit in der Forschung

Um dafür zielführende Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, gibt es zunehmend Forschung zu Klimawandelanpassung im Kontext von Klima- bzw. Umweltgerechtigkeit. Der Bericht „‘Leaving No One Behind’ in Climate Resilience Policy and Practice in Europe“ des EU Topic Centers für Klimawandelanpassung erkundet beispielsweise Potenziale und Barrieren gerechter Anpassungspolitik in Europa. Auch einige der vom Klima- und Energiefonds geförderten ACRP-Projekte setzen sich mit der Thematik im österreichischen Kontext auseinander. Das Projekt UrbanHeatEquality beispielsweise beschäftigt sich mit dem aktuell zunehmenden Hitzestress in Wien. Dabei stehen politische Entscheidungsprozesse im Fokus, die darauf abzielen, naturbasierte Lösungen für städtische Hitzeinseln in Wien zu fördern. Das Projekt berücksichtigt auch die Gefahr, dass durch naturbasierte Lösungen soziale Ungleichheiten verstärkt werden könnten, Stichwort grüne Gentrifizierung. Basierend auf einer Analyse der Outputs (Politiken, konkrete Projekte) und der Outcomes (Auswirkungen auf soziale Gleichheit und Resilienz) bewertet das Projekt die Partizipation und Integration von sowie die Konsequenzen für marginalisierte Gruppen. Im Zuge des Projekts werden Vertreter:innen verwundbarer Gruppen explizit einbezogen, indem Interviews, Fokusgruppen und eine partizipative Planungsübung durchgeführt werden. Außerdem wird in einem ko-kreativen Prozess ein Booklet gestaltet. Dadurch soll das Wissen zur Klimawandelanpassung in Bereichen der Umwelt- und sozialen Gerechtigkeit sowie transdisziplinärer Forschung und partizipativer Ansätze erweitert werden. Darüber hinaus besteht jedoch nach wie vor ein großer Forschungsbedarf zum Thema Gerechtigkeit und Klimawandelanpassung in Österreich.

In Summe lässt sich festhalten, dass sowohl Klima- als auch Umweltgerechtigkeit relevante Zukunftsthemen für die Klimawandelanpassung sind – einerseits, weil von ihnen Gesundheitsrisiken und politische Spannungen ausgehen und andererseits, weil sie enorme Potenziale im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation bergen. Gerechtigkeit ist ein Grundpfeiler der Infrastrukturen für eine klimafreundliche Gesellschaft, in der ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen als neue Normalität ermöglicht wird. (JN, DB, Juni 2023)