GLORIA - Langzeitbeobachtung von alpinen Ökosystemen: 20 Jahre Schrankogel
Das Hochgebirge ist Lebensraum von perfekt an Schnee und Kälte angepassten Organismen. Für viele Spezialisten der Pflanzen- und Tierwelt sind die höchsten Gipfel der Alpen wichtige Rückzugsgebiete. Aber wie lässt sich der Einfluss des anthropogenen Klimawandels auf die Biodiversität in diesen extremen Lagen beobachten? Das Forschungsprogramm GLORIA hat sich seit mittlerweile über 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, aussagekräftige Antworten auf diese Frage zu finden.
Der Klimawandel macht sich im Alpenraum durch eine überdurchschnittlich starke Erwärmung bemerkbar. Dies zeigt sich durch schwindende Gletschern, zunehmendem Schneemangel sowie mehr Extremwetterereignissen und hat nicht nur negative Folgen für die Wirtschaft, sondern macht auch unserer natürlichen Biosphäre zu schaffen. Um herauszufinden, wie sich der Klimawandel auf alpine Ökosysteme auswirkt, sind Langzeitmessungen und -beobachtungen von großer Bedeutung.
Dem 3497 Meter hohen Schrankogel in den Stubaier Alpen kommt als sogenannte „Master Site“ für das Forschungsprogramm GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) von Beginn an eine zentrale Rolle im international betriebenen Monitoring-Netzwerk für die Langzeitbeobachtung der Hochgebirgsvegetation und ihrer biologischen Vielfalt zu: Von der alpinen Rasen- bis zur Nivalstufe (jener Höhenstufe im Gebirge, wo im Mittel, auf ebener Fläche ganzjährig Schnee liegen bleibt) wurde hier bereits 1994 entlang des Höhenprofils zwischen 2900 und 3450 Metern Seehöhe ein umfangreiches Netz an dauerhaften Mess- und Beobachtungsflächen (1x1 m) installiert. Neben den kontinuierlichen Messungen der Boden/Oberflächentemperaturen und Vegetationskartierungen auf den Dauerflächen werden seit 2014 auch Proben für die Untersuchung von Bodenorganismen in 100m-Stufen entnommen.
Abnahme der Artenzuwanderung, Zunahme des Artenrückgangs
Im Vergleich 1994/2004/2014 konnte das Forscherteam eine signifikante Artenanreicherung beobachten, wobei es zwischen 2004 und 2014 aber zu einer Abflachung des Nettoanstiegs kam. Begründet wird dies durch eine leicht verminderte Neubesiedlung bei gleichzeitig deutlich verstärktem Artenrückgang. Nach Jahrzehnten überwiegender Artenzunahme kann das bereits ein Anzeichen für eine Phase verstärkten Artenrückgangs in Folge des anhaltenden Klimawandels sein.
Wandel hochalpiner Vegetation
Dabei zeigt sich, dass Pflanzenarten der Hochlagen (subnivale-nivale Arten) auf den permanenten Beobachtungsflächen überproportional „verloren gingen“, während Arten tieferer (wärmerer) Lagen häufiger wurden. Dieser Trend einer „Thermophilisierung“‘ der alpinen Vegetation hat sich im vergangenen Jahrzehnt verschärft und lässt befürchten, dass subnivale Arten auf die unmittelbaren Gipfelbereiche zurückgedrängt und schließlich lokal völlig verschwinden könnten. Der fortschreitende Habitatverlust der Hochlagenvegetation manifestiert sich auch in einer beschleunigten Verschiebung zu einer besser an trockene Verhältnisse angepassten Artenzusammensetzung.
Einfluss auch auf andere Organismen
Die Projektergebnisse belegen einen ebenso starken Einfluss der Seehöhe auf Bodenmikroorganismen, sowohl hinsichtlich ihrer Masse, als auch der Häufigkeit. Zudem konnten methanproduzierende – und damit für Klimaveränderungen hochrelevante – Mikroorganismen (Archaea) in alpinen bis subnivalen Böden nachgewiesen werden. Aus Sicht der Forschenden bemerkenswert ist, dass die deutlichsten Änderungen mikrobiologischer Parameter im Bereich der alpin-nivalen Übergangszone der Vegetation erfolgen, die Veränderung der Pflanzengesellschaft also von einer markanten Änderung der Boden-Mikroorganismen begleitet wird. Auch mobile aber flugunfähige Arthropodengruppen wie Spinnen und Laufkäfer zeigten eine klare Bindung an das Vorkommen von Pflanzen. Damit sind Veränderungen der Vegetationszusammensetzung auch Indikatoren für klimainduzierte Verschiebungen der Häufigkeit und Vielfalt tierischer Organismengruppen sowie der mikrobiellen Aktivität in Hochgebirgsböden. Ein auffällig abweichendes Verbreitungsmuster zeigte jedoch die Boden-Mikrofauna (speziell Collembolen, weniger deutlich die Hornmilben). Diese sehr wichtigen Destruenten (Zersetzer) alpiner Böden zeigten hinsichtlich Artenzahlen und Individuenzahlen keinen Zusammenhang mit dem Höhen- bzw. Temperaturgradienten und wurden auch in vegetationsfreien Habitaten häufig gefunden.
Die nun vorliegenden Ergebnisse aus dem vom Klima- und Energiefonds geförderten Projekt „SCHRANKOGEL_20YEARS“ liefern neue Erkenntnisse über Ausmaß und Geschwindigkeit von klimabedingten Veränderungen von Ökosystemen und damit einen wichtigen Beitrag für wissenschaftliche Modellierungen und Prognosen. Darüber hinaus sind sie auch von Interesse für Schutzgebietsbeauftragte und Planende sowie Entscheidungstragende im Naturschutz. ( April 2017)