UncertProp: Wie sich Unsicherheiten in Modellen fortpflanzen
Agrarwissenschaftlerinnen und Agrarwissenschaftler greifen vielfach auf Modelle zurück, um künftige Entwicklungen abzubilden und zu quantifizieren. Die meisten Modelle fokussieren sich auf bestimmte Ausschnitte der Realität, beispielsweise das Klima, das Pflanzenwachstum, den Agrarsektor oder die politischen Rahmenbedingungen. Um der Komplexität der Wirklichkeit näher zu kommen, braucht es jedoch sogenannte „integrierte Modellverbünde“, also das Zusammenspiel mehrerer disziplinärer Modelle.
Die Kopplung von Modellen bietet viele Vorteile, bedingt aber auch ein Auseinandersetzen mit den zusätzlichen Herausforderungen, wie beispielsweise die Weitergabe von Unsicherheiten zwischen den Modellen. In einem integrierten Modellverbund können Wechselwirkungen zwischen Klima, Boden und Pflanzenwachstum, sowie Einflüsse von Politik und Markt auf die Landnutzung und damit verbundene Umweltauswirkungen systematisch analysiert werden. Dies unterstützt Entscheidungen zur Ausgestaltung von politischen Programmen oder zur Umsetzung von Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsmaßnahmen. Allerdings birgt eine derartig umfassende Abbildung der bio-physikalischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen auch Nachteile. Insbesondere können Unsicherheiten von Modelleingangsdaten, Modellstruktur, Modellgrenzen und Modellannahmen propagieren– das bedeutet, sie können sich über die Modellkette hinweg fortpflanzen.
Genau hier setzte das vom Klima- und Energiefonds über das, im 9. Call des ACRP-Programms geförderte, Projekt „UncertProp“ an. Auf Basis von Einzelmodellen (siehe Abbildung 1) wurde ein Modellverbund entwickelt, um Unsicherheiten sowie deren Propagation zu erforschen (siehe Abbildung 2).
Typen und Quellen von Unsicherheiten in Modellen und integrierten Modellverbünden wurden definiert. Danach wurden – gemeinsam mit Stakeholdern – die wichtigsten Unsicherheiten identifiziert und weiter analysiert.
Folgende Unsicherheiten können in einem integrierten Modellverbund auftreten:
"Ort" der Unsicherheit | Beispiele |
Systemgrenze | Welche Aktivitäten bleiben unberücksichtigt, wie z. B. Viehzucht, Forstwirtschaft, Aquakultur, Bioenergie? |
Systemauflösung | Spiegelt die zeitliche und räumliche Auflösung in den Modellen die realen Prozesse gut wider (z. B. Pflanzenwachstum, Entscheidungen der Landwirtinnen und Landwirte)? |
Eingabe von Systemdaten (Ist-Situation) | Wie groß ist die Unsicherheit (z. B. auf Grund von statistischen Fehlern, fehlenden Werten) in den Systemdaten (wie Preise, Kosten, Ertragswerte, Bodenparameter, Faktoreinsätze, Kulturfolgen, etc.)? |
Eingabe von Treiberdaten (Annahmen über zukünftige Entwicklungen) | Wie geht man mit der zukünftigen Entwicklung von Treiberdaten der Modelle um (z. B. Wirtschaftswachstum, technologische Entwicklung, Politikmaßnahmen)? |
Modell – Parameterkalibrierung | Welche Kalibrierungsmethode eignet sich am besten bzw. reduziert die Unsicherheiten am meisten? Bei der Kalibrierung verändert das Modell unsichere Parameter (z. B. Kosten von Managementmaßnahmen) so, dass ausgewählte Modelloutputs (z. B. Landnutzung) den empirischen Daten gut entsprechen. |
Modellstruktur | Bildet das Modell, der Modellverbund die Realität gut genug ab? Werden Entscheidung tatsächlich nur nach ökonomischen Kriterien getroffen? Wurde – wenn mehrere zur Verfügung stehen – die richtige Formel für einen biophysikalischen Prozess ausgewählt? |
Hard- und Software | Welche Unsicherheiten können durch Hardware (z. B. CPU & RAM Kapazitäten, fehlerhafter Datenübertragung) oder Software (z. B. Lösungsheuristiken (Lösungsverfahren mit numerischer Annäherung), Auswahl von Lösungsalgorithmen, Programmierfehler) auftreten? |
Übertragung von Daten zwischen den Modellen | Welche Unsicherheit tritt auf, wenn Daten zwischen Modellen nicht eins zu eins übertragen werden können? (z. B. räumliche und zeitliche Aggregation von bio-physikalischen Prozessdaten als Input für die Landnutzungsmodelle, Zuordnungen von unterschiedlichen Kostenarten und Preisen zwischen Landnutzungsmodellen und volkswirtschaftlichen Modellen) |
Modellresultate: Entscheidungen, Unterstützung | Welches Vertrauen haben die Modelliererinnen / Modellierer selbst, aber auch mögliche Nutzerinnen / Nutzer (wie z. B. Entscheidungstragende) in die Modellresultate? |
Die Darstellung der Unsicherheiten erfolgte in einer Unsicherheits-Rahmentabelle, die verschiedene Dimensionen der Unsicherheit aufzeigt. Neben der Dimension „Ort der Unsicherheit“ (siehe Tabelle oben), kann auch die Dimensionen „Ausdruck“ (z.B.: Kann Unsicherheit quantifiziert werden? Kann sie als Szenario dargestellt werden?) und die Dimension „Ursache“ berücksichtigt werden (z.B.: Fehlt es an Wissen? Ist sie inhärent auf Grund natürlicher Schwankungen?) (siehe Abbildung 3). Diese Rahmentabelle kann die Basis für eine Visualisierung der Unsicherheits-Ausbreitungspfade in einem Flussdiagramm sein, wie sie im Projekt durchgeführt worden ist (siehe Abbildung 2).
Beim Modell EPIC wurden zusätzlich spezifische Unsicherheitsanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Erträge sehr stark von den Bodenparametern und der Kulturführung abhängen und diesen Faktoren besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte. Auch die Auswahl der PET-Gleichung (also der Gleichung für die potentielle Evapotranspiration) beeinflusst die Modellergebnisse.
Um die Unsicherheiten beim BiomAT Modell zu verringern, wurde eine nichtlineare Zielfunktion eingeführt und mit historisch beobachteten Landnutzungsdaten kalibriert. Damit können nun kosteneffiziente Maßnahmen identifiziert werden, beispielsweise zur Anpassung an den Klimawandel oder zur Regulierung invasiver Arten wie den Maiswurzelbohrer.
Das Fazit des Forschungsprojektes lautet: Je detaillierter Modellunsicherheiten abgebildet und analysiert werden, desto robustere Entscheidungsempfehlungen können für die Praxis, die Verwaltung oder die Politik getroffen werden. Für ein Folgeprojekt empfiehlt das Projektteam sich speziell dem Thema der Kommunikation von Unsicherheiten zu widmen. Unsicherheiten sollten stets klar und präzise an unterschiedliche Stakeholder vermittelt werden. (MO, MK, HM, KF, November 2020)
Weitere Informationen:
Projektleitung:
Universität für Bodenkultur Wien,
Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften,
Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung,
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Erwin Schmid
Projektlaufzeit:
Juni 2017 bis August 2020
Projektpartner:
Universität Hamburg
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
Umweltbundesamt GmbH, Team Klimawandelanpassung
Wissenschaftliche Publikation (Basis für Newsletterbeitrag):
Kirchner, M., Mitter, H., Schneider, U.A., Sommer, M., Falkner, K., Schmid, E., 2021. Uncertainty concepts for integrated modeling - Review and application for identifying uncertainties and uncertainty propagation pathways. Environ. Model. Softw. 135, 104905. https://doi.org/10.1016/j.envsoft.2020.104905
Quellen:
1ÖKS15
Chimani, B., Heinrich, G., Hofstätter, M., Kerschbaumer, M., Kienberger, S., Leuprecht, A., Lexer, A., Peßenteiner, S., Poetsch, M.S., Salzmann, M., Spiekermann, R., Switanek, M., Truhetz, H., 2016. ÖKS15 - Klimaszenarien für Österreich. Daten, Methoden und Klimaanalyse [ÖKS15 - Climate scenarios for Austria. Data, methods and climate analysis] (Projektendbericht). CCCA Data Centre, Vienna, Austria.
2CropRota
Schönhart, M., Schmid, E., Schneider, U.A., 2011. CropRota – A crop rotation model to support integrated land use assessments. European Journal of Agronomy 34, 263–277. https://doi.org/10.1016/j.eja.2011.02.004
3EPIC
Williams, J.R., 1995. The EPIC Model, in: Computer Models of Watershed Hydrology, Water Resources Publications. Singh V.P., pp. 909–1000.
4BiomAT
Feusthuber, E., Mitter, H., Schönhart, M., Schmid, E., 2017. Integrated modelling of cost-effective policies to regulate Western Corn Rootworm under climate change in Austria. Agricultural Systems 157, 93–106. https://doi.org/10.1016/j.agsy.2017.07.011Folberth et al., 2019
Karner, K., Mitter, H., Schmid, E., 2019. The economic value of stochastic climate information for agricultural adaptation in a semi-arid region in Austria. Journal of Environmental Management 249, 109431. https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2019.109431
Stürmer, B., Schmidt, J., Schmid, E., Sinabell, F., 2013. Implications of agricultural bioenergy crop production in a land constrained economy – The example of Austria. Land Use Policy 30, 570–581. https://doi.org/10.1016/j.landusepol.2012.04.020
Mitter, H., Schmid, E., 2020. Informing groundwater policies in semi-arid agricultural production regions under stochastic climate scenario impacts. Ecological Economics 180, 106908. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2020.106908
5global FASOM
Schneider, U.A., McCarl, B.A., Schmid, E., 2007. Agricultural sector analysis on greenhouse gas mitigation in US agriculture and forestry. Agric. Syst. 94, 128–140. https://www.mdpi.com/2077-0472/8/4/53.
Schneider, U.A., Rasche, L., McCarl, B.A., 2018. Assessing the economic impacts of pesticide regulations. Agriculture 8, 53. https://doi.org/10.3390/ agriculture8040053.
6ADAGIO
Kratena K., Streicher, G., Salotti, S., Sommer, M.W, 2017. FIDELIO 2: Overview and theoretical foundations of the second version of the Fully Interregional Dynamic Econometric Long-term Input-Output model for the EU-27.
Kratena and Streicher, 2014. FIDELIO’s ADAGIO A family of regional econometric input output models. In E. V. Schmid, The Common Agricultural Policy in the 21st Century. Festschrift für Markus F. Hofreither (pp. 131-148). Vienna: facultas.wuv
Sommer, M.W., Kratena, K., 2016. The carbon footprint of European households and income distribution. Ecol. Econ. 136, 62-72. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2016.12.008