COSIMA – Ökodörfer als Experimentierräume
Um die Klimaschutzziele zu erreichen, ist eine massive Veränderung unseres Lebens- und Wirtschaftsstils unabkömmlich. Damit einhergehen muss eine Umgestaltung unseres täglichen Handelns. Diese Umgestaltung kann „top-down" oder „bottom-up" initiiert werden. Das durch den Klima- und Energiefonds geförderte Projekt COSIMA untersuchte beide Wege zur Entwicklung und Stabilisierung klimaschonender Praktiken im Alltag.
Sowohl Top-down als auch Bottom-up Initiativen haben ihre Stärken. Klimaschutz, der „von oben“ betrieben wird, informiert meist eine breite Masse von Personen. Ideen zum Klimaschutz, die „von unten“ entstehen, zeigen hingegen häufig eine außerordentlich hohe Wirkungskraft. Um das Klimaschutzziel zu erreichen, bedarf es der Kombination beider Kräfte. Auch die Klimawandelanpassung in Österreich sollte zukünftig dieses Potential nutzen.
Klassische „Top-down-Initiativen" im Klimaschutzbereich sind Klimagemeinden. Per Beschluss verpflichten sich diese, bestimmte klimaschonende Maßnahmen umzusetzen. Beispielsweise werden Ölheizungen durch Pelletsheizungen ersetzt. Das heißt, eine ressourcenintensive Heizmethode wird durch eine weniger ressourcenintensive ersetzt, die jedoch die gleiche Funktion erfüllt. Man spricht in der Praxistheorie dabei von „Recrafting". Einige Klimagemeinden versuchen auch ressourcenintensive Praktiken, wie beispielsweise das Autofahren, durch weniger ressourcenintensive Praktiken, wie das Fahrradfahren, zu „substituieren", indem Radwege (aus)gebaut werden. Die Notwendigkeit klimaschädlicher Praktiken per se wird bei Top-down Initiativen jedoch nicht in Frage gestellt bzw. nicht aktiv reduziert.
Ökodörfer entstehen meist durch „Bottom-up-Initiativen" von Menschen, die eine Veränderung von Alltagspraktiken zum Ziel haben. Sie schaffen dabei infrastrukturelle Bedingungen und Regeln, die ressourcenintensive Praktiken überflüssig machen. Beispiele für ein solches „Interlocking" sind gemeinsames Essen in Gemeinschaftsräumen von gemeinsam eingekauften, regionalen Bioprodukten, Kinderbetreuungseinrichtungen direkt vor Ort oder Home-Offices, die Verkehrswege vermeiden. Recrafting und Substitution spielen auch in Ökodörfern eine Rolle, jedoch ist es das bewusste Interlocking, das Bottom-up-Initiativen von Top-down-Initiativen unterscheidet. Interlocking in Klimagemeinden existiert zwar, jedoch werden diese Maßnahmen (wie das Anlagen eines Badeteiches oder die Revitalisierung eines Kinos) nicht aus Klimaschutzgründen durchgeführt, sondern zur Attraktivierung des Dorf- bzw. Stadtkerns. Besonders die gemeinschaftliche Nutzung von Autos (Car-Pooling) oder von Räumen wie Küche, Lager- oder Waschräume reduziert die Pro-Kopf-Emissionen in Ökodörfern.
Eine potentiell größere horizontale Reichweite weisen Top-down-Initiativen auf. Das Hauptwerkzeug dabei ist die Bereitstellung von Informationen für eine große Bevölkerungsgruppe. Der Klimaeffekt, also die CO2-Einsparung pro Kopf, ist jedoch vergleichsweise gering. Radikale Maßnahmen sind nur schwer durchsetzbar. Die horizontale Reichweite von Bottom-up-Initiativen ist meist nur auf die Ökodörfer beschränkt und somit sehr begrenzt. Gleichzeitig zeigen die Maßnahmen jedoch eine größere Wirkungsintensität, da die Förderung nachhaltigen Lebens ein Grundanliegen der Ökodorfbewohnerinnen und -bewohner ist.
Beim Projekt COSIMA wurden folgende Initiativen untersucht:
- Sieben Linden, Deutschland
- Lebensraum, Niederösterreich
- Pomali, Niederösterreich
- Kaindorf, Steiermark
- Gemeinde Laxenburg, Niederösterreich
- Gemeinde Beeskow, Deutschland
Es stellt sich nun die Frage, wie man die Stärken von Top-down- und Bottom-up-Initiativen kombinieren könnte. Eine Politikempfehlung, die aus dem Projekt COSIMA abgeleitet wurde, ist die Einführung sogenannter „hybrider Strukturen". Dabei fungieren Ökodörfer als „Experimentierräume", in welchen klimaschonende Praktiken entwickelt werden können. Gut umsetzbare, wirkungsvolle Maßnahmen können entweder direkt von der Bevölkerung der umliegenden Gemeinden genutzt werden (z. B. gemeinsame Nutzung von Autos, Tauschbörsen, Freizeitangebote wie Tanzkurse oder Filmvorführungen) oder auch von den Gemeinden gefördert und übernommen werden. Die räumliche Integration von Ökodörfern in Klimagemeinden ist dafür Voraussetzung, ebenso wie die laufenden Abstimmungen mit der politischen Ebene.
Die Bewohnerinnen und Bewohner von Ökodörfern sind aktive Klimaschützerinnen und Klimaschützer. Pro-aktives „Anpassungsdenken" wurde im Rahmen von COSIMA beispielsweise bei Überlegungen zu forstwirtschaftlichen Maßnahmen festgestellt. Welche Effekte Ökodörfer auf den Wasserhaushalt, die Biodiversität, die Gesundheit der Menschen und Tiere usw. im Vergleich zu „Standardgemeinden" haben, bleibt jedoch derzeit noch offen. (MO, Februar 2018)
Kurztitel: COSIMA
Langtitel: Governing community-based social innovation for climate change mitigation and adaptation
KoordinatorIn/ProjekteinreicherIn: Ao. Prof. Dr. Helmut Haberl
Kontaktperson: Dr. Willi Haas, Institut für Soziale Ökologie, Schottenfeldgasse 29, 1070 Wien
ProjektpartnerInnen: ÖIN (Österreichisches Institut für nachhaltige Entwicklung), BOKU (Zentrum für globalen Wandel & Nachhaltigkeit), ZTG (Technische Universität Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft)
Projektlaufzeit: 01.04.2015 bis 31.03.2017