Naturschutz im Klimawandel

Der Klimawandel verändert die Umweltbedingungen für die Biodiversität grundlegend. Taugen unsere Naturschutzmaßnahmen und Biodiversitäts-Erhaltungsstrategien auch noch im Klimawandel? Wie kann sich der Naturschutz an den Klimawandel anpassen? Das ACRP-Projekt „Conservation under Climate Change: Challenges, Constraints and Solutions“ (CCCCCS) hat sich von 2017 bis 2021 mit diesen Fragen auseinandergesetzt und gibt Antworten.

Die Abbildung zeigt, dass Klimawandel, Gefährdungsursachen und Schutzmaßnahmen auf eine Art (Fotobeispiel Schmetterling) einwirken.

Der Klimawandel beeinflusst nicht nur die Biodiversität, sondern auch die Naturschutzpraxis. Er ist ein direkter, aber auch ein indirekter Gefährdungsfaktor für die Biodiversität. Waren Habitatverlust, Habitatdegradation und Habitatfragmentation durch bestimmte Landnutzungspraktiken bisher wesentliche Ursachen des Biodiversitätsschwunds, so tritt mit dem Klimawandel ein neuer zusätzlicher Treiber hinzu. Die direkten Auswirkungen des Klimawandels – Erwärmung, Dürrephasen, Wetterkapriolen, veränderte Konkurrenzverhältnisse – zwingen die Arten, ihre angestammten Siedlungsgebiete zu verlassen und den Umweltbedingungen zu folgen. Schutzgebiete sind dagegen ortsfest – sie wandern nicht mit.

Aber der Klimawandel hat auch indirekte Auswirkungen: Er verändert das Gefüge der Gefährdungsfaktoren, die auf bedrohte Arten einwirken. Manche Bedrohungen werden verstärkt, andere abgemildert. Das wiederum erfordert eine Anpassung der Schutzmaßnahmen, die bisher ergriffen wurden, um die Gefährdung der Arten zu verringern. Das Projekt CCCCCS wurde vom Umweltbundesamt geleitet und gemeinsam mit Expertinnen und Experten der Uni Wien, weiteren Institutionen und externen Fachleuten bearbeitet. Das Projektziel bestand darin, die Auswirkungen des Klimawandels auf den Naturschutz systematisch zu erfassen und daraus Schlussfolgerungen für die Klimawandel-Anpassungserfordernisse des Naturschutzes zu ziehen.

Endemiten im Klimawandel

In Österreich leben Hunderte endemische (und subendemische) Tier und Pflanzenarten. Das sind Arten, die ausschließlich (oder schwerpunktmäßig) hier vorkommen und daher auch nur hier (effektiv) zu schützen sind. Im Projekt wurde untersucht, ob das aktuell bestehende Schutzgebietsnetzwerk diesen Arten auch unter dem Einfluss des Klimawandels ausreichend Schutz bieten kann. Verbreitungskarten hunderter endemischer und subendemischer Arten, Karten der Schutzgebiete sowie Karten, die das aktuelle und das zukünftige Klima abbilden, wurden mittels mathematischer Modelle ausgewertet.

Die Ergebnisse zeigen klar, dass der Anteil der klimatischen Nischen, welcher momentan durch Schutzgebiete abgedeckt wird, unter den Bedingungen des Klimawandels drastisch sinkt. Während momentan über 60 % der klimatischen Nischen durch Schutzgebiete abgedeckt sind, werden bis zum Jahr 2080 nur mehr ca. 10 bis 20 % abgedeckt sein, je nach Klimawandelszenario. Jede einzelne Art wird im Klimawandel anteilsmäßig Schutzgebiets-Repräsentanz verlieren. Etwa ein Fünftel der Arten wird ihre Schutzgebietsabdeckung komplett verlieren.

Die Studie zeigt also, dass das momentane Schutzgebietsnetzwerk nicht in der Lage sein wird, endemische und subendemische Arten effektiv zu bewahren, wenn sich das Klima weiter verändert. Eine Ausweitung des Schutzgebietsnetzwerks unter Berücksichtigung der zukünftigen Verbreitungsgebiete dieser Arten wäre notwendig, um das Netzwerk klimafit zu machen. Solche Ausweitungen stehen allerdings in Konkurrenz zur Landnutzung und sind daher schwierig zu realisieren. Der beste Weg zum Schutz von Arten, für die Österreich besondere Verantwortung trägt, besteht somit darin, die globale Erwärmung zu begrenzen und den Klimawandel aufzuhalten.

Gefährdungsfaktoren und Schutzmaßnahmen im Klimawandel

Bedeutung für Tier- und Pflanzenarten

Zur Untersuchung der Frage, wie der Klimawandel Gefährdungsfaktoren und Artenschutzmaßnahmen beeinflusst, wurden eine Grundgesamtheit von 1.109 gefährdeten österreichischen terrestrischen Tier- und Pflanzenarten (127 Wirbeltiere, 142 Pflanzen, 840 Wirbellose) herangezogen. Für die Arten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien-Anhänge wurden die Gefährdungsfaktoren des letzten Berichts gemäß Artikel 17 der Richtlinie verwendet; für alle weiteren gefährdeten Arten der Roten Liste wiesen Expertinnen und Experten für die jeweiligen Organismengruppen die Gefährdungsfaktoren den Arten neu zu. Im nächsten Schritt wurde dann für alle Zuweisungen beurteilt, ob sich der Klimawandel verstärkend, neutral oder abschwächend auf den Gefährdungsfaktor und die jeweilige Art auswirkt.

Die oft mit den Gefährdungsfaktoren logisch verknüpften und somit korrespondierenden Schutzmaßnahmen wurden in gleicher Weise behandelt; ebenso wurden mit derselben Methode die Lebensraumtypen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie in die Analysen einbezogen. Bei den Schutzmaßnahmen wurde zudem überprüft, ob die derzeit tatsächlich praktizierten Maßnahmen denjenigen der Verteilung entsprechen, die Expertinnen und Experten den gefährdeten Arten zuerkennen.

Für die untersuchten gefährdeten Arten sind direkte Klimawandel-Gefährdungsfaktoren bereits der zweitwichtigste Gefährdungsverursacher nach der Landwirtschaft. Innerhalb der einzelnen Gefährdungsfaktoren ist die Aufgabe der Grünlandnutzung für die größte Anzahl von Arten von Relevanz, gefolgt von Luftschadstoffen (N-Aufdüngung von Magerstandorten über den Luftpfad). Über verschiedene Verursachergruppen hinweg integriert erwiesen sich hydrologische Veränderungen als bedeutendste Gefährdungsfaktoren (450 von 1.109 untersuchten Arten sind davon betroffen); diese Faktoren werden sich auch im Klimawandel für die meisten Arten verschärfen. Die Auswirkungen der Luftschadstoffe werden sich im Klimawandel aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Elektromobilität dagegen vermindern.

Unter den Naturschutzmaßnahmen stehen Klimawandel-Gegenmaßnahmen bereits jetzt an erster Stelle, gemessen an der Anzahl der Arten, für die sie relevant sind. Im Klimawandel besonders an Bedeutung gewinnen werden ferner Maßnahmen, welche die Auswirkungen hydrologischer Veränderungen modifizieren. Weniger bedeutsam werden dagegen Maßnahmen gegen den Stickstoffeintrag. Die Verteilung der gegenwärtig praktizierten Maßnahmen unterscheidet sich von der Verteilung, die Expertinnen und Experten für geboten erachten. So sind Maßnahmen in der Landwirtschaft derzeit quantitativ unterrepräsentiert, während Maßnahmen gegen diffuse Schadstoffeinträge und zum Management hydrologischer Eingriffe überrepräsentiert sind.

Bedeutung für Lebensräume

Für die 57 Lebensräume des Anhangs I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie nehmen direkte Klimawandel-Gefährdungsfaktoren derzeit noch keinen so breiten Raum ein wie bei den Arten. Wesentliche Faktoren sind hier der Land- und Forstwirtschaft zuzuordnen; die meisten dieser Gefährdungsfaktoren werden im Klimawandel für die Lebensräume bedeutsamer.

Lokal tätige Schutzgebietsverantwortliche lieferten die Antwort, ob die so getroffenen Zuweisungen den Realtäten und Naturschutzanforderungen vor Ort entsprechen. Naturschutzmanagerinnen und -manager für die Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel und Donau-Auen, für die Biosphärenparks Wienerwald und Großes Walsertal sowie für die Trockenrasen des Naturschutzbunds Niederösterreich wurden gebeten, 10 für ihre jeweiligen Gebiete besonders charakteristische Arten und Lebensräume auszuwählen und in der gleichen Weise methodisch zu behandeln wie oben geschildert.

Obgleich auf die jeweiligen Schutzgebiete bezogen und auf ausgewählte charakteristische Arten beschränkt, lieferte die Analyse der Naturschutzverantwortlichen sehr ähnliche Ergebnisse: Grünlandmanagement gehört zu den aktuell wichtigsten Maßnahmen; Faktoren- und Maßnahmenbedeutungsverschärfungen als Folge des Klimawandels betrafen auch bei den meisten Schutzgebieten die hydrologischen Verhältnisse.

Schlussfolgerungen

Der Klimawandel wurde in Naturschutzkreisen lange Zeit als Zukunftsproblem wahrgenommen, dessen Auswirkungen langfristig bedrohlich sind, kurzfristig aber hinter den aktuellen Bedrohungen, wie sie durch Landnutzungsformen und Biotopumwandlungen entstehen, zurückbleiben. Das Projekt CCCCCS zeigte, dass die Zukunft inzwischen eingetreten ist. Direkte und indirekte Klimawandelauswirkungen sind bereits hier und jetzt greifbar. Während einzelne Naturschutzprobleme durch den Klimawandel abgemildert werden, stellt der Klimawandel in der Mehrzahl der Fälle den Naturschutz vor neue Aufgaben oder verschärft die bereits gestellten.

  • Unter den Bedingungen des Klimawandels kann das österreichische Schutzgebietsnetzwerk die Endemiten und Subendemiten nicht langfristig bewahren; es muss mit Gebietserweiterungen und Korridoren Klimawandel-fit gemacht werden.
  • Intensivierung und Nutzungsaufgabe in der Landwirtschaft sind bereits derzeit wesentliche Treiber der Biodiversitätsgefährdung; ihre Wirkungen werden sich im Klimawandel verstärken. Ein besseres Miteinander von Landbewirtschaftung und Biodiversitätserhaltung wird zur Zukunftsaufgabe.
  • Der Klimawandel wird die bereits vielerorts bestehende Konkurrenzsituation um Wasser verschärfen. Trockenlegung und Grundwasserentnahme sind bereits heute wesentliche Gefährdungsfaktoren; mit den verlängerten Dürrephasen, die insbesondere im Osten Österreichs zu erwarten sind, verschärft sich die Situation. Ein besseres Wassermanagement wird im Naturschutz an Bedeutung gewinnen.
  • Durch die geringere Aufdüngung mit Stickstoff über den Luftpfad ist eine gewisse Entspannung der Biodiversitätsbedrohung auf Magerstandorten wie Trockenrasen oder Mooren zu erwarten. Mit dem vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien und der Zurückdrängung des Verbrennungsmotors sollte sich diese Bedrohung abschwächen.

Weitergehende Forschung zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität ist eine wichtige Grundlage für effizienten Naturschutz und das Erreichen der österreichischen Ziele zum Biodiversitätserhalt. (Zulka, Oberleitner, Semenchuk, Schindler, Dezember 2021)

Foto Nationalpark Neusiedlersee

Weitere Informationen

Projekttitel: Conservation under Climate Change: Challenges, Constraints and Solutions (CCCCCS)

Förderprogramm: ACRP – 10th Call (2017)

Projektlaufzeit: 2017 - 2021

Projektleitung: Umweltbundesamt GmbH, Stefan Schindler

Weiterführende Links

Future Representation of Species’ Climatic Niches in Protected Areas: A Case Study With Austrian Endemics. Front. Ecol. Evol., 29 September 2021

Projektinfos Klima- und Energiefonds