Weltklimarat findet deutliche Worte
Mit eindrücklichen Warnungen und motivierenden Apellen wurde der Weltklimarat IPCC in seinen aktuellen Berichten deutlicher als je zuvor. Das Ausmaß der Klimakrise ist größer als in früheren Bewertungen geschätzt wurde. Klar ist, unser heutiges Handeln kann langfristig eine klimafitte, lebenswerte Zukunft sichern, doch die Zeit drängt.
Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, auch “Weltklimarat”) stellt im Jahr 2022 die abschießenden Teile seines sechsten Sachstandsbericht (auch „Weltklimabericht“) vor. Der Bericht umfasst den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Klimawandel und dient als robuste Grundlage für eine zukunftsweisende Klimapolitik. Ganz aktuell wurden in den letzten Monaten zwei zentrale Teilberichte präsentiert: Am 5. April stellte die Arbeitsgruppe III ihren Band „Klimawandel 2022: Minderung des Klimawandels“ vor. Am 28. Februar wurde der Bericht der Arbeitsgruppe II „Klimawandel 2022: Klimafolgen, Anpassung und Verwundbarkeiten“ veröffentlicht. Der zusammenfassende Synthesebericht über den gesamten Berichtszeitraum 2015-2022 soll im September 2022 veröffentlicht werden.
Alle bereits vorgestellten Bände aus dem sechsten Berichtszyklus zeigen deutlicher als zuvor: Die menschengemachte Klimakrise ist längst real und bei uns angekommen. Es braucht eine umfassende Transformation. Ambitionierten Maßnahmen im Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels dürfen nicht aufgeschoben werden!
Klimawandel 2022: Folgen, Anpassung und Verwundbarkeiten
Im folgenden Newsletterbeitrag liegt der Schwerpunkt auf den Inhalten des Band II zu Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit. Dieser Beitrag der IPCC Arbeitsgruppe II bewertet die Auswirkungen des Klimawandels, wobei Ökosysteme, biologische Vielfalt und die menschlichen Gesellschaften betrachtet werden. Die Frage, womit unsere Kinder und Enkelkinder rechnen müssen, wird ebenso thematisiert wie die Möglichkeiten gut durchdachter Anpassung und wann Anpassung an ihre Grenzen stößt. Weiters wird dargestellt, wie klimaresiliente Entwicklungen aussehen und wie wir sie erreichen können.
Massive Klimafolgen werden bereits heute beobachtet
Der Band II des sechsten IPCC Berichts zeigt deutlich: Das Ausmaß und die Größenordnung der Auswirkungen des Klimawandels sind größer als in früheren Bewertungen geschätzt wurde. Dabei bringen die Wissenschafter:innen immer mehr Risiken eindeutig mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel in Verbindung. Klimawandelverursachte Extremereignisse, wie Hitzeextreme, Starkregen, Dürre oder das sogenannte „Feuerwetter“, werden immer häufiger und intensiver. Gleichzeitig wird der verheerende Einfluss von langsam eintretenden Prozessen wie Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung der Meere oder Abnahme der Niederschläge in einigen Regionen beobachtet.
Die Auswirkungen des Klimawandels führen zu schwerwiegenden und weit verbreiteten Störungen in der Natur und in menschlichen Gesellschaften. Sie beeinträchtigen die Lebensmittelproduktion ebenso wie die Bereitstellung von ausreichend sauberem Trinkwasser, sie schädigen so die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen und zerstören ihre Lebensgrundlagen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auswirkungen des Klimawandels 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen, also rund die Hälfte der Weltbevölkerung, bereits heute in vielerlei Hinsicht beeinträchtigen.
Klimarisiken sind unfair verteilt
Die Anfälligkeit von Ökosystemen und Menschen gegenüber dem Klimawandel unterscheidet sich erheblich zwischen aber auch innerhalb von Regionen. Gründe dafür sind große soziale und ökonomische Ungleichheiten, dazu gehören auch historisch anhaltende Ungleichheitsmuster wie Kolonialismus oder Regierungsführung.
Ebenso kann nicht nachhaltige Land- und Meeresnutzung die Anfälligkeit von Menschen und Natur regional erhöhen. Ein hoher Anteil der Arten, die bereits durch Nutzung oder andere Faktoren unter Druck stehen, ist durch den Klimawandel zusätzlich gefährdet. Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Verwundbarkeit von Menschen und Ökosystemen eng miteinander verbunden ist. Gesellschaften oder einzelne Menschen, die bereits unter der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung leiden, können sich schwerer bis kaum an die Folgen des Klimawandels anpassen.
Ausmaß des Risikos unweigerlich abhängig vom Temperaturanstieg
Hervorgehoben wird von den Autor:innen, dass die zu erwartenden Risiken ganz deutlich vom Ausmaß und der Geschwindigkeit des Klimawandels abhängen. Das heißt, ambitionierte und zügige Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen sind äußerst wichtig. Ohne Maßnahmen zur Minderung und Anpassung nehmen die Klimagefahren bereits in den nächsten Jahrzehnten stark zu, insbesondere dann, wenn es zu einer zusätzlichen Erwärmung, z.B. über 1,5°C in diesem Jahrhundert kommt. Damit sind hohe Risiken für Ökosysteme und Menschen verbunden. Irreversible Auswirkungen auf bestimmte Ökosysteme mit geringer Widerstandsfähigkeit werden erwartet. So sind ganz besonders Polar-, Gebirgs- und Küstenökosysteme durch das Abschmelzen der Eisschilde, die Gletscherschmelze oder einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg betroffen. Mit wirksamen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen können diese Risiken erheblich verringert, aber nicht vollständig beseitigt werden.
Die längerfristige Entwicklung von klimawandelbedingten Risiken in den Jahren nach 2040 ist sogar noch alarmierender. Jedoch auch hier gilt, baldiges und entschlossenes Handeln hilft, denn die Prognosen zeigen: die negativen Folgen des Klimawandels und die damit einhergehenden Verluste und Schäden nehmen mit jedem weiteren Temperaturanstieg weiter zu.
Auswirkungen des Klimawandels werden immer komplexer
Unterschiedliche Klimagefahren können sich gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise wird der künftige Anstieg des Meeresspiegels in Verbindung mit Sturmfluten und starken Regenfällen die Überschwemmungsrisiken verstärken. Zusätzlich können sie mit nicht klimatischen Risiken zusammenwirken. Dies führt zu einer Erhöhung des Gesamtrisikos und zu Risikokaskaden. Zum Beispiel führt der Meeresspiegelanastieg zu Verlusten von Küstenökosystemen und ihren Ökosystemleistungen, zu einer Grundwasserversalzung, vermehrten Überschwemmungen und Schäden an der Küsteninfrastruktur. Dies wiederum bedingt kaskadenartig höhere Risiken für Siedlungsgebiete, Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensmittel- und Wassersicherheit sowie kulturelle Werte.
Anpassungsfortschritt sichtbar, aber noch viel zu zögerlich
Im Band II zum sechsten Sachstandsbericht wird von Anpassungsfortschritten in vielen Sektoren und Regionen berichtet. Wie wichtig eine gute Anpassungspraxis ist, gelangt immer mehr ins politische und öffentliche Bewusstsein. Zumindest 170 Länder und Städte haben Klimawandelanpassung in ihre Politiken und Planungsprozesse integriert, darunter auch Österreich. Gute Anpassung kann zahlreiche zusätzliche Vorteile mit sich bringen, wie z.B. die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität, der Gesundheit und des Wohlbefindens, der Ernährungssicherheit und des Lebensunterhalts sowie die Erhaltung der biologischen Vielfalt oder die Verringerung von Risiken und Schäden.
Dennoch gibt es große Unterschiede zwischen Regionen oder Sektoren in der Umsetzung wirksamer Anpassungsoptionen. Oft sind Anpassungsmaßnahmen zu wenig Umsetzungs-orientiert oder werden nur bruchstückhaft und Sektor-spezifisch realisiert. Viele Initiativen legen den Schwerpunkt auf die unmittelbare und kurzfristige Verringerung des Klimarisikos. So werden langfristige Trends zu wenig berücksichtigt oder sogar Möglichkeiten für tiefgreifende, transformative Anpassung verringert.
Die Gefahr fehlender oder schlechter Anpassung steigt
Seit dem letzten, fünften IPCC Weltklimabericht, der 2013/2014 vorgelegt wurde, haben sich die Hinweise auf Fehlanpassungen verschärft. Fehlende und schlechte Anpassung kann oft teure und nur schwer zu ändernde Folgen haben. Fehlanpassung kann Ungleichheiten erhöhen, wenn die Betroffenheit von Klimarisiken verlagert wird. Wenn falsche Anpassungsmaßnahmen direkt oder indirekt zu einer Erhöhung der Treibhausgas-Emissionen führen, kann auch der Klimawandel verstärkt werden.
Damit Anpassungsmaßnahmen vorausschauend und gut durchdacht umgesetzt werden, braucht es: politisches Engagement, institutionelle Rahmenbedingungen, Strategien und Instrumente mit klaren Zielen und Prioritäten, verbessertes Wissen über Auswirkungen und Lösungen, Mobilisierung von angemessenen finanziellen Ressourcen, Monitoring und Evaluierung von Maßnahmen und Prozessen sowie integrative Governance-Prozesse.
Grenzen der Anpassung und Anpassungslücken aufzeigen
Anpassung an die Klimafolgen ist für uns Menschen nicht in jedem Fall möglich. Im IPCC Bericht werden weiche und harte Grenzen für die Anpassung unterschieden. Weiche Grenzen können überwunden werden, wenn eine Reihe von Einschränkungen, vor allem finanzieller, politischer, institutioneller und politischer Art, aufgehoben werden. Ungleichheiten und Armut schränken die Möglichkeiten zur Anpassung ein, wodurch z.B. einige Kleinbauern in Mittel- und Südamerika, Afrika, Europa und Asien weiche Grenzen der Anpassung erreicht haben.
Die harten Grenzen der Anpassung hingegen sind kaum oder nicht zu überwinden. In einigen Ökosystemen sind sie bereits erreicht oder überschritten, dazu gehören einige Warmwasserkorallenriffe, einige Küstenfeuchtgebiete, einige Regenwälder und einige Polar- und Bergökosysteme. Mit zunehmender globaler Erwärmung werden sich Verluste und Schäden vermehren, und weitere menschliche und natürliche Systeme werden an Anpassungsgrenzen stoßen.
Von Anpassungslücken sprechen die Autor:innen, wenn die tatsächlich durchgeführten Anpassungsschritte vom gesellschaftlich gesetzten Ziel deutlich abweichen. Besonders oft werden Lücken in der zunehmenden Diskrepanz zwischen den geschätzten Anpassungskosten und den für Anpassung bereitgestellten Finanzmitteln identifiziert. Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen sind am meisten von Anpassungslücken betroffen. Wenn die Anpassungsplanung und Umsetzung weiter wie bisher fortgesetzt wird, werden die Lücken weiterwachsen.
Jetzt eine klimaresiliente Zukunft forcieren
Die von der Arbeitsgruppe II beobachteten Klimarisiken, der zu erwartende Trend und die noch bestehenden Anpassungslücken und Grenzen der Anpassung zeigen deutlich: weltweit sind klimaresiliente Entwicklungen dringlicher als je zuvor. Mit gut durchdachten, umfassenden und wirksamen Anpassungsmaßnahmen können Synergien zum Klimaschutz genutzt und eine nachhaltige Entwicklung gefördert werden. Klimaresiliente Entwicklung muss in Entscheidungsfindungsprozesse, Finanzierungen und Maßnahmen über alle Regierungsebenen, Sektoren und Zeitrahmen integriert werden. Gesellschaftliche Entscheidungen und Maßnahmen, die im nächsten Jahrzehnt umgesetzt werden, bestimmen das Ausmaß, in dem mittel- und langfristige Pfade zu einer höheren oder niedrigeren klimaresilienten Entwicklung führen können. Denn die Zeitspanne, in der klimaresiliente Entwicklung möglich sind, wird immer kürzer.
Städte stehen vor besonderen Herausforderungen, um eine klimaresiliente Entwicklung und Anpassungsfähigkeit zu stärken. Vorherrschende Modelle der energieintensiven Urbanisierung, unzureichende oder falsch ausgerichtete Finanzmittel und der derzeitige Fokus auf graue Infrastruktur ohne Integration ökologischer und sozialer Ansätze müssen überwunden werden.
Die IPCC-Grafik unterstreicht eindrücklich, wie die gesellschaftlichen Entscheidungen der nächsten Jahre bis 2030 wegweisend für eine lebenswerte, klimaresiliente Zukunft sind. Eine klimaresiliente Entwicklung bedeutet, dass Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden, die eine nachhaltige Entwicklung für alle Menschen unterstützen. Wenn die globale Erwärmung in näherer Zukunft über 1,5°C steigt, dann ist eine klimaresistente Entwicklung nur mehr schwieriger zu erreichen. Gesellschaftliche Entscheidungen haben einen wesentlichen Einfluss und werden in der Grafik als Kreise dargestellt. Sie verschieben die globalen Entwicklungspfade in Richtung einer höheren (grün) oder niedrigeren (rot) klimaresilienten Entwicklung. Mit den Kreisen auf der linken Seite (a) werden gesellschaftliche Entscheidungen und Handlungen, die eine klimaresiliente Entwicklung ermöglichen (grün) bzw. hindern (rot) visualisiert. Eingebunden sind dabei unterschiedliche staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure. Sie setzten auf politischer, wirtschaftlicher und finanzieller, ökologischer, soziokultureller, wissens- und technologiebezogener sowie gesellschaftlicher Ebene Anpassungs-, Klimaschutz- und Entwicklungsmaßnahmen um.
Intakte Natur als wichtiger Verbündeter
Dem Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme kommt eine entscheidende Bedeutung für eine klimaresistente Zukunft zu. Ökosysteme spielen sowohl im Klimaschutz als auch in der Anpassung eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sind sie durch den menschenverursachten Klimawandel zusätzlich bedroht. Der Verlust von Ökosystemen und ihren Leistungen kann zu kaskadenartigen und langfristigen Auswirkungen auf der ganzen Welt führen. Damit Ökosysteme und Ökosystemleistungen widerstandfähig gegenüber dem Klimawandel sind, müssen nach aktuellen Analysen auf globaler Ebene rund 30 bis 50 % der Land-, Süßwasser- und Meeresfläche der Erde unter Schutz gestellt werden.
Eine wirksame ökosystembasierte Anpassung verringert Klimarisiken für die Menschen, die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen und bringt vielfältige Vorteile. Beispielsweise sorgt Stadtbegrünung mit Bäumen für lokale Kühlung. Natürliche Flusssysteme, Feuchtgebiete und Flussauenlandschaften verringern das Hochwasserrisiko. Küstenfeuchtgebiete schützen vor Küstenerosion und Überschwemmungen im Zusammenhang mit dem Meeresspiegelanstieg.
Der sechste IPCC Berichtszyklus – ein eindringlicher Appell
Ebenso zentral wie die in diesem Artikel beschriebenen Rückschlüsse der Arbeitsgruppe II zur Anpassung sind die am 5. April veröffentlichten Ergebnisse der Arbeitsgruppe III zur „Minderung des Klimawandels“. Im Fokus des Bands III steht die Frage, wie sich der Klimawandel heute noch begrenzen lässt. Es werden Optionen und dringliche Handlungsempfehlungen angesprochen, um eine massive Erderwärmung mit desaströsen Folgen zu vermeiden. Deutlicher als je zuvor machen uns die aktuellen IPCC Berichte klar, weiter wie bisher ist keine Option. Wir leben jetzt in der Dekade, in der wir wegweisende Schritte für eine nachhaltige, klimaresiliente Zukunft setzten müssen. Aufschieben von Klimaschutz und Anpassung ist nicht mehr möglich! [SV, April 2022]