Die Komplexität von Wandel und Wanderbewegungen
Neben den vielfältigen Ursachen für Migration, wie z.B. Kriege, politische bzw. religiöse Verfolgung, Misswirtschaft oder Armut, wird auch der Einfluss des Klimawandels immer öfter genannt. Aber wie genau lassen sich die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration erklären? Welche Erkenntnisse zeigen aktuelle Studien und wo liegen die größten Unsicherheiten?
Spätestens seit dem Sommer dieses Jahres ist das Thema Migration in aller Munde, sowohl in Europa, als auch in Österreich. Es ist nicht nur zentral in den Medien vertreten, sondern auch in der Politik und im öffentlichen Diskurs. Dabei wird immer wieder der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration aufgegriffen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die fachlichen Hintergründe und wissenschaftlichen Grundlagen zu diesem Thema.
Wanderbewegungen sowie Flucht und Vertreibung haben vielfältige Gründe wie Kriege, Verfolgung, Missernten, wirtschaftliche Not oder fehlende Lebensperspektiven. Seit es Menschen gibt haben auch Umweltveränderungen (oder Umweltkatastrophen) zu kleineren oder größeren Wanderbewegungen geführt. In den letzten Jahrzehnten ist eine zusätzliche Frage von immer größerem Interesse geworden: Inwieweit tragen auch der Klimawandel, klimawandelbedingte Extremereignisse und Umweltstörungen zur Migration bei?
Klimawandel und Migration im globalen Dialog als Thema angelangt
Diese Frage wird heute bereits von einer großen Anzahl Studien und wissenschaftlichen Publikationen behandelt. Auch die EU befasst sich im Arbeitspapier „Climate change, environmental degradation, and migration“ mit dem Thema. Die klimawandelbedingte Zunahme von Extremereignissen, wie die Häufigkeit von Dürren und die Intensität tropischer Wirbelstürme oder auch kontinuierliche Veränderungen wie der Anstieg des Meeresspiegels, machen Wanderbewegungen wahrscheinlicher, stellen die AutorInnen fest. Dies gilt vor allem dann, wenn diese Ereignisse Menschen (vulnerable Gruppen) betreffen, die wenige Möglichkeiten zur Anpassung haben. Wobei Klimawandel sehr oft indirekt zu Wanderbewegungen beiträgt, d.h. Klimawandelfolgen verstärken (oder verursachen) Armut, Hunger und andere Probleme, die wiederum zu Migration und/oder (in Folge) zu Konflikten führen. Eine isolierte Betrachtung von Klimawandel als (direkter) Migrationsgrund ist jedenfalls kaum möglich, dies erschwert konkrete Aussagen zu klimawandelbedingter Migration erheblich.
Der Zusammenhang zwischen Migration und Klimawandel wird in Forschungskreisen seit längerem untersucht. Schon im Jahr 1990 wies der internationale Weltklimarat (IPCC) auf diesen Zusammenhang hin. Im aktuellen fünften Sachstandsbericht wird klar hervorgehoben, dass Wanderbewegungen durch Ereignisse, die mit Klimawandel zusammenhängen, ausgelöst werden können. Darüber hinaus wird erklärt, dass (zeitweise und dauerhafte) Bevölkerungsverschiebungen und Migration auch eine mögliche Anpassungsstrategie darstellen: Migration kann sowohl eine Antwort auf extreme Wetterereignisse als auch auf die schleichenden/ Langzeit-Klimaveränderungen sein.
Komplexe Zusammenhänge zwischen Migration und Klimawandel bestehen
Die eindeutige Bestimmung von Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Migration erweist sich als äußerst komplex. Im Versuch, die vielfältigen Verflechtungen zwischen Klimawandel und Migration, welche unter „Klimamigration“ zusammengefasst sind, aufzuschlüsseln, ergeben sich Herausforderungen in mehrerlei Hinsicht.
Die auftretenden Formen und Dimensionen von klimawandel- oder umweltbedingter Migration werden abhängig vom zeitlichen Verlauf von Umwelt- bzw. Klimaveränderungen unterschieden. Etwa im Fall von plötzlich auftretenden Veränderungen (z.B. großräumige Überflutungen, Waldbrände) können Wanderbewegungen fluchtartig sein. Aufgrund schleichender Veränderungen (z.B. Bodenversalzung, mehrjährige Dürren, Küstenerosion) verläuft Migration oftmals eher geplant. Weitere Unterscheidungen können bezüglich der Dauer von Migration und der Frage, ob diese binnenstaatlich oder grenzüberschreitend erfolgt, getroffen werden. Gerade die Migrationsbewegungen, deren zentraler Auslöser plötzliche Umweltveränderungen sind, finden sehr oft zunächst innerhalb von Nationalstaaten statt.
Der zentrale Diskussionspunkt in der Bestimmung von Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Migration betrifft aber die oftmals nicht mögliche Unterscheidung zwischen den vielgründigen Auslösern/Ursachen von Migration (z.B. poltische Konflikte und Unterdrückung, Armut, Misswirtschaft etc.). So betont beispielsweise der Weltklimarat (IPCC, 2014), dass Aussagen zur konkreten Anzahl der Menschen, deren Migration aufgrund von Klimawandel erfolgt, sehr schwierig und mit sehr großen Unsicherheiten behaftet sind. Denn die Beurteilung der Ursachen für Migration ist auch aus Sicht des Weltklimarates ein „multi-kausales“ und komplexes Thema.
Klimawandel als „Brandbeschleuniger“
In vielen Studien wird jedoch beobachtet, dass Umweltveränderungen und Extremereignisse - deren Mitverursacher der Klimawandel ist - zu Krisen und Konflikten oder auch schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Situationen beitragen. Damit wirken sie – wenn nicht direkt – jedenfalls indirekt, als sogenannte „Brandbeschleuniger“ auf die Migration.
Eine weitere große Schwierigkeit ist zwischen dem Klimawandel im engeren Sinn und allgemeinen Umweltveränderungen als Auslöser von Wanderungen zu unterscheiden. Dies bildet sich beispielhaft an einer US-Studie ab, die heuer im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen ist. Darin wird dargelegt, wie der Klimawandel eine schwere Dürre in Syrien von 2006 bis 2010 verstärkt und somit als ein Stressfaktor wirkte, der in Kombination mit anderen Faktoren zur Destabilisierung des Landes beitrug. Im Detail bewegte eine mehrjährige schwere Dürre rund 1,5 Millionen Menschen, die bis dahin von der Landwirtschaft im eigentlich ertragreichen Nordosten Syriens lebten, in die Stadtregion von Damaskus abzuwandern. Dort hatten bereits ca. 1 Million Flüchtlinge aus dem Irak Zuflucht gesucht. Nachdem auf diese prekäre Lage nicht unmittelbar reagiert wurde und Proteste gegen steigende Lebensmittelpreise niedergeschlagen wurden, war dies ein möglicher Auslöser, der zum Ausbruch des Bürgerkriegs beitrug. Einen direkten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Bürgerkrieg stellen die Autoren ausdrücklich nicht her. Studien, die Zusammenhänge zwischen Gewalt, kriegerischen Konflikten und Klimawandel herstellten, standen wiederholt im Zentrum heftiger Kritik. Dennoch sorgte auch die beschriebene Syrien-Publikation in Wissenschaftskreisen für Diskussionen. Dabei werden nicht nur die in der Studie unterdrückten Unsicherheiten bezüglich der Datenlage zu regionalen Niederschlägen bemängelt, sondern auch das Unterschätzen von allgemeinen Umweltveränderungen. Deren maßgebliche Ursachen seien statt im Klimawandel eher im jahrzehntelangen landwirtschaftlichen Missmanagement, etwa durch exzessive Grundwasserförderung und der Übernutzung des Bodens, zu suchen. Abseits der rein naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung sehen einige ExpertInnen das Argument des Klimawandels dann als schwierig an, wenn es PolitikerInnen erlaubt, von der eigenen Verantwortung für Fehlverhalten und Missmanagement abzulenken. So könnten mit dem Argument des Klimawandels Schuldige für Gewalt oder Hungersnöte ebenso außerhalb des eigenen Landes gesucht werden. Für die unmittelbar von (umweltbedingter) Migration betroffenen Menschen spielen derlei Überlegungen über politisches Kalkül sicherlich keine Rolle.
Migration aus besonders vom Klimawandel betroffenen Regionen
Die bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf Definition und Messbarkeit von Klimamigration erschweren sowohl Aussagen zur Anzahl von Menschen, die klimawandelbedingt wandern, als auch Maßnahmenentscheidungen seitens der Politik. Sehr wohl festmachen lassen sich jedoch Regionen, von denen wir schon heute wissen, dass sie besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind bzw. sein werden und daher eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für klimabedingte Migration aufweisen. Laut dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählen hierzu einerseits Küstengebiete, Flusstäler und Flussdelta sowie niedrig gelegene Inselstaaten und Atolle, welche ein erhöhtes klimawandelbedingtes Risiko von Überschwemmungen und Sturmfluten, Überflutungen der Ufer und Springfluten tragen. Gerade an Küsten oder in der Flussnähe ist die Bevölkerungsdichte sehr hoch, was zusätzlich zu einer besonderen Betroffenheit in den Regionen führt. Andererseits kann in ohnehin schon trockenen Gebieten mit unsicherer Wasserversorgung der Klimawandel den Wassermangel durch Dürren schneller auf ein nicht mehr erträgliches Maß steigern. Zudem steht die Bevölkerung in Polarregionen, der Tundra und im Hochgebirge aufgrund vermehrter klimabedingter Erosion, abschmelzender Gletscher und auftauender Permafrostböden vor besonders schwierigen Herausforderungen.
Wie stark Menschen in den identifizierten Risikogebieten letztendlich dazu getrieben werden, ihren bisherigen Lebensmittelpunkt (dauerhaft) zu verlassen, hängt neben Klima- und Umweltveränderungen auch maßgeblich von sozioökonomischen Faktoren ab: Wie und in welchem Ausmaß können Betroffene mit Unterstützung seitens des Staates rechnen? Wie ausgeprägt sind der gesellschaftliche Zusammenhalt und das Vertrauen in die staatlichen Behörden? Sind vor Ort entsprechende Mittel, Kapazitäten und Ressourcen zur Anpassung an Veränderungen des Klimas und der Umwelt vorhanden?
Beitrag zur Anpassung und Klimaschutz in betroffenen Ländern
Auch in Paris, bei der Weltklimakonferenz, wurde die Frage nach dem Zusammenhang von Klimawandel und Migration gestellt. Unabhängig davon, ob sich in Zahlen feststellen lässt, für wie viele MigrantInnen Klimawandel (auch) ein Auslöser für ihr Auswandern ist, besteht ein breiter Konsens darüber, dass Klimawandel und Umweltveränderungen einen (oft indirekten) Einfluss auf Migrationsbewegungen haben. Aus diesem Grund ist die Unterstützung von besonders vulnerablen Regionen und Staaten bei der Anpassung an den Klimawandel sowie in der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen von zentraler Bedeutung. Schon auf der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 haben sich die Industriestaaten zum Ziel bekannt, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung zu mobilisieren. Mit dem ein Jahr später gegründeten Green Climate Fund (GCF) der UNFCCC sollen Projekte finanziert werden, die in Entwicklungsländern sowohl zur Reduktion von Treibhausgasen, als auch zur Anpassung an den Klimawandel beitragen.
Viele BeobachterInnen der Weltklimakonferenz (Bsp. IOM International Organization for Migration; IPCC, UNHCR etc.) haben sich eines weiteren Aspekts des Themas Klimawandel und Migration angenommen: und zwar der Diskussion welche neuen Herausforderungen sich für die Migrationspolitik ergeben. Das schließt auch die heikle Frage mit ein, inwieweit Umweltveränderungen und Klimawandel als Gründe für Flucht anerkannt werden können?
Gemeinsam mit dem zu erwartenden weiteren Temperaturanstieg, ist jedenfalls auch davon auszugehen, dass das Thema Klimawandel und Migration uns zukünftig vermehrt beschäftigen wird. (Dezember 2015)
Quellen:
Klimaretter.Info: Syrien: Brandbeschleuniger Klimawandel
Spiegel Online (Umstrittene Studie: Löste Klimawandel den Syrien-Krieg aus?Beitrag von Axel Bjanowski)
Weitere Informationen:
BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland)
UK Climate Change & Migration Coalition – aktuelle Interviews, Kommentare und Studien zum Thema