Science Plan – der Wegweiser für die österreichische Klimaforschung

Zielgerichtetes und koordiniertes Vorgehen ist nicht nur im wirtschaftlichen Umfeld wichtig, sondern auch in der Wissenschaft. Mit dem Science Plan entwickelte das Climate Change Centre Austria (CCCA) ein strategisches Dokument, um wesentliche Schwerpunkte für die zukünftige österreichische Klimaforschung festzulegen. Ziel ist eine engere Zusammenarbeit und die Bereitstellung praxisrelevanter Ergebnisse.

Die Forschung zum Klimawandel und zur Klimawandelanpassung hat sich in den letzten Jahren nicht nur international, sondern auch in Österreich rege entwickelt. Fundierte Datengrundlagen sind eine wesentliche Voraussetzung, um brauchbare Lösungen für die Herausforderungen durch den Klimawandel bundesweit sowie auf regionaler und lokaler Ebene zu finden. Grundlagenforschung und praxisrelevante Ergebnisse sollten dabei Hand in Hand gehen. Spielen diese beiden Aspekte zusammen, können Antworten auf drängende Fragen gefunden werden.

Auch die Österreichische Strategie zur Anpassung an den Klimawandel betont die Wichtigkeit einer fortlaufenden Klimaforschung über die Ursachen und Folgen der Klimaänderung. Fragen zur Anpassung an den Klimawandel sind in den jüngsten Jahren stärker in den Fokus der Forschung gerückt.

Forschungslandschaft in Österreich

In Österreich gibt es bereits mehrere Programme, die Forschungsaktivitäten in Richtung Klimawandelanpassung unterstützen. Zu nennen sind hier insbesondere das Austrian Climate Research Programme (ACRP) des Klima- und Energiefonds und das Klimaforschungsprogramm StartClim, das von der Wissenschaftscommunity und dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) ins Leben gerufen wurde. Weiters können an den Wissenschaftsfonds (FWF) Forschungsanträge ohne inhaltliche Vorgaben gestellt werden. Auf internationaler Ebene sind die EU-Förderprogramme „Horizon 2020“ und das JPI-Climate-Programm von Bedeutung. Auch von den Bundesministerien oder Bundesländern beauftragte Forschungsarbeiten leisten einen wertvollen Beitrag, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Erwähnenswert sind hier beispielsweise die regionalen Klimaszenarien für Österreich, die im Projekt „ÖKS15“ erstellt und im Juli 2016 veröffentlicht wurden. 

Titelbild Scienceplan

Trotz dieser zahlreichen Aktivitäten gibt es noch viele offene Fragen für die Klimaforschung in Österreich. Um diese Lücken zu füllen und die Klimaforschung in Österreich zu stärken, entwickelten über 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam den Science Plan. Dieser zeigt den Wissensbedarf zum Klimawandel und die wünschenswerte Entwicklungsrichtung aus Sicht der Wissenschaft auf. Ausgerichtet auf fünf bis sieben Jahre, stellt der Science Plan somit eine wichtige Forschungsstrategie dar. Neben dem Aufzeigen von Wissenslücken ist ein Anliegen des Science Plans, geeignete Rahmenbedingungen in der nationalen Forschungsförderungspolitik anzuregen, um eine effektive Klimaforschung zu ermöglichen. 

Um den tatsächlichen Klimaforschungsbedarf in Österreich für die nächsten Jahre strukturiert und transparent festzuhalten, wurden alle interessierten österreichischen Klimaforscherinnen und -forscher in den Entstehungsprozess eingebunden. Gemeinsam wurden Ziele, Forschungsbereiche und Prozessschritte für den Science Plan definiert, die sich auch an internationalen Programmen orientieren. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde die aktuelle Version des Science Plan im März 2017 bei der 9. CCCA-Vollversammlung verabschiedet und am 3. Mai 2017 der Öffentlichkeit präsentiert. Die Bedeutung des Science Plans erklärt Gerhard Wotawa von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) mit folgenden Worten: „Jeder Forschende glaubt, dass das, was er tut, das Wichtigste ist. Deshalb ist es eine große Leistung, wenn sich die verschiedenen Forschungsinteressen auf einen gemeinsamen Forschungsplan verständigen können.“ Zudem waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt, die laut der bekannten Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb „nicht im Klima-Mainstream schwimmen“. Das Interesse von fachfremden Forschenden unterstreicht die Wichtigkeit des Themas.

Forschungsthemen im Science Plan

Die im Science Plan angesprochenen Themenfelder betreffen nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch die Sozial- und Geisteswissenschaften wie die Soziologie, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften oder Philosophie und Geschichte. Die relevanten Forschungsthemen werden im Science Plan in fünf Bereiche unterteilt:

  • Einflussfaktoren und Ausprägungen des Klimawandels
  • Folgen des Klimawandels
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Vermeidung bzw. Minderung des Klimawandels
  • gesellschaftliche Transformationsprozesse  

Zusätzlich gibt es ein Kapitel, das inter- und transdisziplinäre Querschnittsthemen anspricht. Darin enthalten sind einerseits methodisch wichtige Aspekte, aber auch Fragestellungen, die in Österreich eine besondere Relevanz haben und von allen fünf Teilbereichen gemeinsam beantwortet werden müssen.

Forschungsbereich I: Klimawandel, Einflussfaktoren und Ausprägungen

Dieser Bereich zielt darauf ab, das Klimasystem besser zu verstehen und Zusammenhänge abschätzen zu können. Dadurch sollen auf Basis von langjährigen Beobachtungsdaten und erprobten Wirkmodellen robuste Daten für Klimawandelanpassungsstrategien zur Verfügung stehen.

Forschungsbereich II: Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft

Im Forschungsbereich II steht die Weiterentwicklung von Theorien & Methoden, Daten & Messungen sowie von Grundlagenthemen über die Auswirkungen des Klimawandels auf Umwelt und Gesellschaft im Fokus. Als wesentliche Grundlagenthemen identifiziert der Science Plan u. a. die Auswirkungen von Extremereignissen auf die Gesellschaft und die anthropogene Infrastruktur sowie die Erforschung von klimasensiblen Lebensräumen, Arten und deren Wechselwirkungen. Aber auch Interessenskonflikte, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, sowie Auswirkungen auf wirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Bereiche wie die Energieversorgung, Land- und Forstwirtschaft und Tourismus fallen in diesen Forschungsbereich.

Forschungsbereich III: Anpassung

Für den Bereich Anpassung ist insbesondere lokales Wissen über die naturräumlichen und gesellschaftlich-politischen Gegebenheiten notwendig. Gleichzeitig müssen aber auch theoretische Fragestellungen geklärt werden: Was ist der geeignete Zeithorizont für Anpassungsmaßnahmen? Wie kann die Wirksamkeit von Maßnahmen erfolgreich untersucht werden? Darüber hinaus ist es empfehlenswert, partizipative Methoden, Action Research (Aktionsforschung mit praxisnahen Hypothesen und Fokus auf Problemlösungen) und Citizen Science (Durchführung wissenschaftlicher Projekte unter Mithilfe bzw. von interessierten Amateurinnen und Amateuren) weiterzuentwickeln, damit Anpassungsmaßnahmen von einer breiten Bevölkerungsschicht akzeptiert und mitgetragen werden. Von Bedeutung sind außerdem die Definition von Fehlanpassung, die Grenzen von Anpassung (z. B. durch finanzielle Grenzen, fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung oder Wissenslücken) sowie vergleichende Kosten-Wirksamkeits-Analysen verschiedener Anpassungsmaßnahmen als Grundlage für Entscheidungstragende.

Forschungsbereich IV: Mitigation

Das wesentliche Ziel des vierten Forschungsbereichs ist, den Treibhausgas-Ausstoß zu verringern und gleichzeitig die Speicherung von Treibhausgasen im Boden und in der Biomasse zu erhöhen. Dies kann u. a. durch Steigerung der Energieeffizienz, Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs und Umstieg auf alternative Energieformen erreicht werden. Gefragt sind naturwissenschaftlich-technische Machbarkeitsstudien, aber auch Fragen des Lebensstils und nach gesellschaftlichen und individuellen Werten.

Forschungsbereich V: Gesellschaftliche Transformationsprozesse

Um das Klimaproblem langfristig lösen zu können, sind neben neuen Zugängen auf naturwissenschaftlich-technischer Ebene eine breite gesellschaftliche Debatte und ein Wertewandel notwendig. Viele Fragen, die nicht nur mit dem Klimawandel zusammenhängen, gilt es zu diskutieren. Wie kann eine gute Lebensqualität mit stark reduziertem Ressourcenverbrauch gehalten werden? Wie können auf breiter gesellschaftlicher Basis neue Lebensstile entwickelt und ein neues gesellschaftliches Wertesystem etabliert werden? Die Forschung ist diesbezüglich gefordert, Schwellenwerte für einen verträglichen Ressourcenverbrauch zu definieren, nachhaltige Systeme als Gegenstück zu konventionellen Produktionsweisen zu entwickeln und Optionen ausarbeiten, wie die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft gelingen kann.

Inter- und transdisziplinäre Themenbereiche

Für bestimmte Querschnitts- und Schwerpunktthemen empfiehlt sich besonders ein inter- und transdisziplinärer Forschungszugang: Etwa Mensch-Umwelt-Theorien, um die Wechselwirkungen zwischen lokalen und globalen Prozessen und die Auswirkungen von menschlichen Entscheidungen und Handlungen abzubilden, aber auch die Entwicklung von Indikatoren, um Fortschritte in der nachhaltigen Entwicklung besser messbar zu machen. Weiters besteht die Notwendigkeit, aus der Fülle an verfügbaren Klimainformationen und -daten, die häufig mit großen Unsicherheiten behaftet sind, die relevanten Aussagen zu filtern und den Entscheidungstragenden zur Verfügung zu stellen. Thematisch relevant sind für Österreich insbesondere der Klimawandel in den Alpen, klima- und energieoptimierte Städte und der Umgang mit zunehmenden Extremereignissen.

Wer steht hinter dem Science Plan?

CCCA LOGO

Initiiert und koordiniert wurde die Erstellung des Science Plan vom Climate Change Centre Austria (CCCA), dem Klimaforschungsnetzwerk für Österreich, in dem die wichtigsten Forschungsinstitutionen Österreichs vertreten sind. Es fungiert als Schnittstelle für Forschung, Politik, Medien und Öffentlichkeit. Zentrale Aufgaben des CCCA bestehen in der kontinuierlichen Vernetzung und in Kooperationen zwischen den Mitgliedern und in der Forschungskoordination. Als Schnittstelle ermöglicht das CCCA außerdem den Zugang und Austausch von Klimawandel-Daten sowie Modellen, Werkzeugen und Forschungsansätzen, setzt sich für eine hohe Qualität und Effizienz der Klimaforschung in Österreich sowie im Lobbying auf politisch-strategischer Ebene ein.

Unter der Leitung von Helga Kromp-Kolb (Universität für Bodenkultur) und Douglas Maraun (Wegener Center Graz) erarbeitete eine strategische Arbeitsgruppe des CCCA den Science Plan. Mit dabei war ein breites Konsortium von Expertinnen und Experten der folgenden Institutionen:

  • Universität Graz
  • Universität Wien
  • Wirtschaftsuniversität Wien
  • Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
  • Universität für Bodenkultur (BOKU)
  • Universität Innsbruck
  • Joanneum Research
  • Umweltbundesamt
  • Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
  • Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit (AGES)
  • Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW)  

Darüber hinaus beteiligten sich viele Forschende im Rahmen von Workshops an der Erarbeitung der Themen.

Den Bundesministerien und Forschungsfördergebern soll der Science Plan zukünftig als Wegweiser für die Ausschreibung von Forschungsprogrammen dienen. Helga Kromp-Kolb äußerte außerdem den Wunsch, dass die Bundesregierung aus dem Science Plan einen gut dotierten, nationalen Forschungsplan generiert. So würde sichergestellt, dass Antworten und Lösungen auf die aufgeworfenen Fragestellungen gefunden werden.