„pathways“-Leitfaden: In 5 Schritten zur klimaresilienten Gemeinde

Bisher basierten Gemeindeentscheidungen im Naturgefahrenmanagement auf Erfahrungswerten, bei der Umsetzung von Maßnahmen wurde sich am Stand der Technik orientiert. Und auch Veränderungen durch den Klimawandel wurden selten beachtet und besonders Extremwetterereignisse führten trotz Schutzmaßnahmen häufig zu Schäden. Ein Leitfaden schafft nun Abhilfe und beschreibt fünf Schritte zur Entwicklung klimaresilienter Anpassungspfade für Gemeinden.

Markierung von Hochwasserständen an einer Hausecke.

Naturgefahren stellen nach wie vor eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Besonders Extremereignisse, wie beispielsweise massive Überflutungen durch Starkregen, führen in Österreich immer wieder zu großen Schäden. Das Ausmaß dieser Schäden hängt unter anderem auch mit Entscheidungen der Gemeindeakteur:innen in der Vergangenheit zusammen, beispielsweise im Kontext zur Erschließung von Siedlungsräumen oder der Errichtung von Schutzbauwerken. Nach einem Naturgefahrenereignis reagiert eine Gemeinde häufig sehr schnell und trifft, oft auch unter Druck durch die Bevölkerung, Managemententscheidungen für den künftigen Umgang mit klimabedingten Risiken. Diese Entscheidungen orientieren sich meist an Erfahrungen aus der Vergangenheit und resultieren in der Umsetzung singulärer, „populärer“ Maßnahmen, entsprechend dem Stand der Technik. Zukünftige klimawandelbedingte Herausforderungen und sozioökonomische Veränderungen, wie etwa die demografische Entwicklung, bleiben dabei unberücksichtigt und das bedeutet, dass sich das Schadenspotential weiter erhöhen kann.

Um künftige Schäden zu verringern beziehungsweise eingetretene Naturgefahrenereignisse effektiver zu bewältigen und sich besser auf die Herausforderungen der Klimakrise vorbereiten zu können, wurden im Rahmen des vom Klima- und Energiefonds im Forschungsförderungsprogramm ACRP (Austrian Climate Research Program) geförderten Projekts „pathways“ im Juni 2022 von der Universität für Bodenkultur, Institut für Alpine Naturgefahren, JOANNEUM RESEARCH, LIFE – Institut für Klima, Energie und Gesellschaft, IIASA, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse, Population & Just Societies Program, Equity & Justice Research Group und mit Unterstützung des EPZs, Elementarschaden Präventionszentrum ein Leitfaden für Entscheidungstragende zur „Gestaltung von Anpassungspfaden im Klimarisikomanagement“ entwickelt. Dieser Leitfaden richtet sich vorrangig an Gemeinden, die bereits den Vorsorgecheck Naturgefahren im Klimawandel absolviert haben. Es werden fünf Schritte empfohlen, um sogenannte Pfadabhängigkeiten und risikoübergreifende Kaskadeneffekte frühzeitig zu erkennen und ein antizipatives Klimarisikomanagement umzusetzen und zu verstetigen:

Schritt 1: Betrachtung der historischen Entwicklung des Naturgefahrenmanagements

Dieser Initialschritt startet mit folgenden Fragen und kann im Rahmen des Vorsorgechecks Naturgefahren im Klimawandel abgearbeitet werden:

  1. Welche und wie viele Ereignisse fanden in welchem Zeitraum in der Gemeinde / Region statt?
  2. Welche und wie viele Schutzmaßnamen wurden in welchem Zeitraum umgesetzt?
  3. Wurden davor auch Wartungs- und Instandhaltungskosten von Schutzbauwerken berücksichtigt?

Wichtige Informationsquellen im Rahmen dieses Schrittes sind Gemeindechroniken, Protokolle, der Wildbach- und Lawinenkataster der WLV, Dokumentationen der Feuerwehr, Zeitungsberichte oder Zeitzeugen.

Schritt 2: Definition der Systemgrenzen durch eine qualitative System- und Klimarisikolandkarte inklusive Identifikation der Zusammenhänge zwischen einzelnen klimabedingten Risiken

Beim Schritt 2 wird eine qualitative System- und Klimarisikolandkarte auf Basis des Vorsorgechecks Naturgefahren im Klimawandel erstellt (siehe auch Hanger-Kopp und Karabaczek, 2022). Anhand dieser Visualisierung reflektieren Gemeindeakteur:innen alle für die Gemeinde relevanten Naturgefahren sowie deren komplexe Interaktionen in einem gemeinsamen Kontext anhand folgender Fragen:

  1. In welchen Klimarisikobereichen wurden bereits Maßnahmen umgesetzt oder Anpassungsstrategien entwickelt?
  2. In welchen Klimarisikobereichen besteht noch Handlungsbedarf?
  3. In welchen Bereichen sind weitere Klimarisikoanalysen notwendig?
  4. Wo können risikoübergreifende Maßnahmen gesetzt und Synergien genutzt werden?

Im Folgenden ist das Beispiel einer solchen System- und Klimarisikolandkarte abgebildet. Die Karte wird am besten von innen nach außen gelesen. Im Inneren sind die Naturgefahren zu sehen (hellblaue Kreise), die zu einem Risiko für die Gemeinde werden können. Die orangenen Elemente visualisieren mögliche negative Auswirkungen der Risiken auf die Gemeinde, dunkelrote Elemente zeigen mögliche positive Auswirkungen. In hellgrün sind bereits gesetzte Maßnahmen abgebildet, dunkelgrüne stehen für zukünftige Handlungsoptionen. Auch Umsetzungsakteur:innen der Gemeinde sind in der Karte abgebildet.

System- und Klimarisikolandkarte

Die Karte visualisiert den Status Quo, das heißt, sie gibt keine Aufschlüsse darüber, wie die Gemeinden diesen Zustand erreicht hat. Sie gibt auch nur eingeschränkt Auskunft über mögliche Maßnahmen in der Zukunft. Aber – und das ist der große Benefit der System- und Klimarisikolandkarte – sie stellt mögliche Wechselwirkungen dar. Ein Beispiel: Längere Trockenperioden im Sommer können Hangwasserereignisse im Herbst verstärken, da die durch Sommerdürre ausgetrockneten Böden zu einer verminderten Wasseraufnahme führen und auch Rutschungen auslösen können. Weiters führen trockene Böden zu verstärkten Kalamitäten in den Wäldern, dadurch zu einer weiteren Verbreitung von Borkenkäfern und einer Abnahme der Schutzfunktion dieser Wälder gegenüber zukünftigen Ereignissen. Die System- und Klimarisikolandkarte visualisiert genau diese Komplexität und ist ein wunderbares Basiswerkzeug für gut durchdachte Entscheidungen im Klimarisikomanagement.

Schritt 3: Identifikation und Darstellung relevanter Akteur:innen im Klimarisikomanagement für alle zu erwartenden Naturgefahren

Zwei Hauptfragen führen durch den Schritt 3:

  1. Welche Akteur:innen spielen welche Rolle im Planungsprozess?
  2. Welche Akteur:innen sind im Katastrophenfall aktiv?

Das Akteur:innennetzwerk wird aus Sicht der Gemeinde erstellt. Im innersten Kreis werden die relevantesten Personengruppen verortet, im äußersten Kreis weniger wichtige, aber doch relevante Akteur:innen.

Schritt 4: Lehren aus dem bisherigen Naturgefahren- und Katastrophenmanagement für den Umgang mit „neuen“ klimabedingten Risiken

Als Vorbereitung für die nachfolgend beschriebenen Arbeitsgruppen im Schritt 4 werden folgende Fragen erörtert:

  • Was hat im Naturgefahrenmanagement bisher gut funktioniert?
  • Was hat im Naturgefahrenmanagement bisher weniger gut funktioniert?
  • Welche Entscheidungen wären aus heutiger Sicht anders getroffen worden?
  • Wie können diese Erfahrungen künftig für das Management der klimabedingten Risiken umgesetzt werden?

Die Arbeitsgruppen entwickeln auf Basis dieser Informationen konkrete Maßnahmen für ein ausgewähltes Klimarisiko. Dabei wird unterschieden, ob die Maßnahmen kurz- oder langfristig von der Gemeinde selbst oder von „höherer Ebene“, also von Bezirks-, Landes- oder Bundesebene umgesetzt werden kann. Vor allem für kurzfristige Maßnahmen auf Gemeindeebene werden abschließend konkrete nächste Umsetzungsschritte identifiziert und verantwortliche Personen definiert. Da diese Maßnahmen voraussichtlich nicht alle Folgen der Klimakrise auf die Gemeinde abfedern, gilt es, parallel dazu auf die regionale, Landes- und nationale Ebene einzuwirken und Entscheidungs- und Planungsprozesse rechtzeitig anzustoßen.

Schritt 5: Entwicklung der Anpassungspfade durch Sequenzierung künftiger Aktivitäten

Jene Maßnahmen, die im Schritt 4 definiert wurden, werden nun auf groben Zeitleisten sequenziert. Dabei werden Aktionszeiträume und auch Abhängigkeiten (aus der System- und Klimarisikolandkarte, Schritt 2) dargestellt und mit Stakeholder reflektiert. Es ist ratsam externe Expert:innen in diesem Schritt der Entwicklung von Anpassungspfaden miteinzubeziehen. Wichtig dabei ist das Bewusstsein zu schärfen, dass Anpassungspfade nicht auf einen Konsens angewiesen sind, sondern diverse Anpassungsmöglichkeiten zu einem Kompromisspfad zusammengefasst werden können. Sie unterstützen die Transparenz zukünftiger Entscheidungen und vermeiden mögliche negative Kaskadeneffekte und Pfadabhängigkeiten. Für die Entwicklung von Anpassungspfaden stehen unterschiedliche Möglichkeiten, wie Forecasting, Backcasting oder Formative Szenarioanalyse zur Verfügung.

Wird ein solches antizipatives Klimarisikomanagement realisiert, werden die Folgen von Entscheidungen mitbedacht und zukünftige Handlungsspielräume bestmöglich offengehalten. Berücksichtigt werden auch die Folgen und Kosten früherer Entscheidungen sowie konkurrierende Interessen, Machtverhältnisse und Diskurse unterschiedlicher Politikbereiche der Gegenwart. Weiters wird strategischen Planungen der Vorrang gegenüber raschen Lösungen nach Stand der Technik gegeben.

Diese Herangehensweise ist essentiell, denn suboptimale Anpassungspfade können zukünftig oft nur mit sehr hohem Ressourceneinsatz korrigiert oder rückgängig gemacht werden. In Österreich gibt es leider zahlreiche Beispiele, in denen sich das Schadenspotential durch einen ineffizienten Einsatz von Mitteln weiter erhöht hat und Kaskadeneffekte sichtbar wurden. In diesen Bad Practice Beispielen waren immer weitere Schutzmaßnahmen notwendig, um das gewünschte Schutzniveau zu erhalten.

Die unterschiedlichen Schritte können in Workshop in der Gemeinde durchgeführt werden. Wie oben beschrieben, kann Schritt 1 durch den Vorsorgecheck Naturgefahren im Klimawandel abgedeckt werden. Schritt 2 bis 4 wäre in einem weiteren Workshop durchführbar. Für die Ausarbeitung der Anpassungspfade ist ein zusätzlicher Termin empfehlenswert. Um den Erfolg dieser strategischen Herangehensweise zu bewerten, sollten in regelmäßigen Abständen Evaluierungstermine in den Gemeinden erfolgen. (MO, TS, November 2022)

Weitere Informationen

Leitfaden: Gestaltung von Anpassungspfaden im Klimarisikomanagement

pathways auf der Website von IIASA

pathways auf der Website des Klima- und Energiefonds

Hanger-Kopp, S., Karabaczek, V. (2022): Integrating knowledge in qualitative system maps. WaterStressAT Deliverable 2.1. Laxenburg: International Institute for Applied System Analysis.