Hitze in der Stadt: Risikofaktor Migrationshintergrund?
Hohe Temperaturen im Sommer bedeuten vor allem für Menschen in dicht verbauten Stadtteilen eine hohe Belastung. Aber leiden alle gleich stark unter der Hitze? Nein, denn neben älteren Menschen oder chronisch Kranken sind auch Personen mit Migrationshintergrund stärker davon betroffen. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende rund um das Projekt EthniCityHeat und versuchen Abhilfe zu schaffen.
Hohe Temperaturen und extreme Hitzeperioden in der Stadt – auch der heurige Sommer war geprägt davon. Tage mit Temperaturen von mehr als 30 °C gibt es aufgrund des voranschreitenden Klimawandels zunehmend häufiger. Für viele Menschen, die in Städten leben, können länger anhaltende Hitzewellen ohne nächtliche Abkühlung eine große Belastung, ja sogar lebensbedrohlich sein. Betroffen sind vor allem Risikogruppen wie ältere Menschen, chronisch Kranke oder Kinder. Eine oftmals unterschätzte Risikogruppe bilden aber auch Personen mit Migrationshintergrund. Dies zeigen die Ergebnisse aus dem vor kurzem abgeschlossenen Projekt EthniCityHeat, welches vom Klima- und Energiefonds finanziert wurde. Viele Personen mit Migrationshintergrund leben demnach in sozial benachteiligten Gebieten, sind eher von Armut betroffen und arbeiten vielfach in körperlich anstrengenden Berufen. Zudem weisen sie einen allgemein schlechteren Gesundheitszustand auf. Diese Faktoren schränken den Spielraum der Möglichkeiten ein, sich an die Hitze anzupassen.
Soziale Dimension der Hitze bisher kaum erforscht
Ein wesentliches Ziel von EthniCityHeat war es, eine empirische Datengrundlage über hitzebedingte Gefährdungen von Personen mit Migrationshintergrund in Wien zu erstellen und Möglichkeiten aufzuzeigen, inwieweit die Lebensbedingungen dieser Menschen verbessert werden könnten. Man wollte herausfinden, wie verschiedene Personengruppen Hitze wahrnehmen, mit Hitze und Gesundheit generell umgehen und vor allem sollte in weiten Kreisen Bewusstsein geschaffen werden. Denn obwohl das Thema zweifellos sehr brisant ist und sich künftig auch noch verschärfen wird, wird es in vielen europäischen Städten bisher kaum thematisiert.
Bildungsungleichheiten als zentraler Risikofaktor
Der Fokus im Projekt lag insbesondere auf Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Um sich dem Thema zu nähern, wurde in einer ersten Projektphase eine ethnographische Studie anhand zweier Fallstudien durchgeführt. Konkret wurden teilnehmende Beobachtungen im Haushalt einer Familie mit türkischem Migrationshintergrund und parallel dazu Beobachtungen im Haushalt einer Familie ohne Migrationshintergrund durchgeführt. Interviews mit Personen mit Migrationshintergrund sowie Stakeholdern (u.a. aus der Stadtverwaltung, NGOs, MigrantInnenorganisationen) vervollständigten die qualitative Erhebungsphase im Projekt.
Die Fallstudien sowie die Interviews zeigten, dass ein zentraler Risikofaktor Bildungsungleichheiten und Sprachbarrieren sind. Viele der Befragten sind Analphabeten und haben nie eine Schule besucht. Ein Großteil informiert sich ausschließlich über türkische Fernsehsender oder über ihre Kinder. Das wirkt sich einschränkend auf den Zugang zu Informationen über hitzebedingte Gesundheitsrisiken aus, aber auch auf ihre gesundheitsbezogenen Praktiken. Hinzu kommt, dass sich (insbesondere ältere) Personen mit türkischem Migrationshintergrund bei großer Hitzebelastung verstärkt in ihre Wohnräume zurückziehen und vergleichsweise seltener Grünanlagen aufsuchen. Dieses Verhalten wird vor allem dann zum Problem, wenn die Wohnbedingungen Hitze fördern: Zwei Drittel gaben an, dass es in ihrer Wohnung während einer Hitzewelle extrem oder sehr heiß wird. Dies haben umfassende Face-to-Face-Befragungen mit insgesamt 600 Personen mit türkischem Migrationshintergrund ergeben, die einerseits in deren privaten Wohnräumen und andererseits in öffentlichen Grünanlagen durchgeführt wurden.
Heat Toolbox
Vor dem Hintergrund der Frage, wie das Verhalten von Personen mit Migrationshintergrund während Hitzeperioden positiv beeinflusst werden kann, wurde – als eines der zentralen Ergebnisse aus dem Projekt − eine „Heat Toolbox“ entwickelt. Diese beinhaltet eine Reihe von Informationsmaterialen wie Flyer, Karten und Videos. So finden sich darin beispielsweise Empfehlungen für heiße Tage sowohl für den Wohnraum als auch für den Arbeitsplatz, ein Video mit Gesundheitstipps, Ausflugsziele zu kühlen Orten („Coole Touren“ durch die Stadt), Karten mit kühleren Orten in ausgewählten Bezirken aber auch ein Kochbuch mit leichten und erfrischenden Sommerrezepten. Diese Sammlung an Informationen und Empfehlungen richtet sich vorwiegend an Personen, die mit Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten (u. a. Gebietsbetreuung, Gesundheitszentren, Magistratsabteilungen der Stadt Wien, Arztpraxen, Caritas, Volkshilfe etc.) und soll ihnen als Unterstützung dienen, die Risiken und Anpassungsmaßnahmen rund um Hitze zu thematisieren. Einige der Materialien stehen sowohl in deutscher als auch in türkischer Sprache zur Verfügung und sind unter der Projektwebsite zum Download verfügbar. Die Entwicklung der Materialien erfolgte in Zusammenarbeit mit Fachleuten, Stakeholdern sowie potenziellen Nutzerinnen und Nutzern. (AF, September 2018)
Weitere Informationen:
Projekttitel: EthniCityHeat – Vulnerability of and adaptation strategies for migrant groups in urban heat environments
Projektleitung: Universität Wien, Institut für Soziologie
Projektpartner: Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung (BOKU Wien), Zentrum für Public Health (Med Uni Wien)
Projektlaufzeit: 2014-2017
Projektwebsite:
stophot.boku.ac.at (deutsch)
ethnicityheat.wordpress.com (englisch)