JustFair: Neue Empfehlungen für das Hochwasserrisikomanagement
Eine der Herausforderungen im Schutz vor Naturgefahren ist, dass nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner von Risikozonen der gleichen Gefährdung ausgesetzt sind. Entscheidungen, welche Gruppen geschützt werden, sind oft mit Konflikten der Ressourcenverteilung verknüpft. Das ACRP-Forschungsprojekt JustFair hat vier Politikempfehlungen entwickelt, wie das Hochwasserrisikomanagement in Österreich differenzierter gestaltet werden kann.
Der Fokus der Hochwasserrisikomanagements liegt derzeit auf physischen Aspekten, sprich auf dem Ausmaß und der Beseitigung von materiellen Schäden. Die Vulnerabilität (Schadanfälligkeit) umfasst jedoch darüber hinaus auch immaterielle Auswirkungen und wird von sozialen und psychologischen Faktoren maßgeblich beeinflusst. Die Vulnerabilität kann sich beispielsweise in Form von emotionaler Belastung, Bluthochdruck, Anstieg von Krankenständen und Bedarf nach langfristiger psychologischer Unterstützung äußern.
Anfang 2020 wurden im Rahmen des Projekts JustFair in zwei Fallstudienregionen sowohl Privathaushalte als auch KMUs zu Auswirkungen von Hochwasserereignissen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass soziale Faktoren (wie Einkommen, Wohndauer in der Gemeinde, Alter) und psychologische Aspekte (Angst vor Hochwasserereignissen, politische Einflussmöglichkeit) die Vulnerabilität infolge eines Hochwassers maßgeblich beeinflussen.
Aus den Projektergebnissen wurden vier Handlungsempfehlungen für verschiedene Zielgruppen abgeleitet:
JustFair Policy Brief 1: Erweiterung des Hochwasserrisikomanagements durch soziale und psychologische Vulnerabilitätsindikatoren zeigt auf, wie durch die Berücksichtigung von sozialen und psychologischen Merkmalen vulnerable Personengruppen besser identifiziert und ihre Vulnerabilität verringert werden kann. Empfohlen wird, soziale Indikatoren bei der Planung von Schutzmaßnahmen stärker zu gewichten. Psychologische Faktoren sollten vor der Planung von Schutzmaßnahmen im Rahmen von Befragungen der Haushalte im Risikogebiet erhoben werden und können durch Bewusstseinsbildung und Trainings gestärkt werden, um die individuelle psychologische Vulnerabilität zu verringern.
JustFair Policy Brief 2: Integrative Analyse der Hochwasser-Vulnerabilität von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) unterstreicht den Mehrwert von sozialen und psychologischen Vulnerabilitätsindikatoren neben der Bedeutung betrieblicher Kapazitäten für die Erfassung der Vulnerabilität von KMU. Die Befragung zeigte eine sehr stark ausgeprägte psychologische Resilienz und Selbstwirksamkeit der Unternehmensleitung. Um vulnerable Gruppen abzubilden und mögliche Unterstützungen anzupassen, sollten betriebliche Kapazitäten im Hochwasserrisikomanagement berücksichtigt und entsprechende Indikatoren ergänzt werden. Darüber hinaus wird empfohlen:
- die Vernetzung von KMUs auf betrieblicher und politischer Ebene zu stärken
- Bewusstseinsbildung sowie Aus- und Weiterbildung zu Aspekten des Naturgefahrenmanagements (etwa Standortwahl) zu forcieren
- den betrieblichen Blickwinkel bei Planungsaktivitäten verstärkt einzubeziehen
- die Anerkennung von Schäden auszuweiten, wie etwa bei Betriebsausfällen durch überflutete Zufahrtswege und
- umfangreicher zu Versicherungslösungen zu beraten
JustFair Policy Brief 3: „Was können wir aus den Maßnahmen während der Covid-19 Krise für die Unterstützung von Unternehmen aus dem österreichischen Katastrophenfonds lernen?“ schlägt eine einheitliche Regelung des Katastrophenfonds auf Bundesebene, eine Erweiterung des Katastrophenfonds um die Förderung von laufenden Kosten von Unternehmen und die Möglichkeit von Vorauszahlungen in allen Bundesländern vor. Weiterer Diskussions- und Forschungsbedarf besteht bezüglich der Harmonisierung der Schadensbewertung und der Frage, ob Schäden durch (voraussichtlich zunehmende) Katastrophenereignisse künftig von staatlicher Hand oder verstärkt von privaten Versicherungsleistungen getragen werden sollen.
JustFair Policy Brief 4: „Der Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und Kosten-Nutzen-Analyse“ zeigt eine Möglichkeit auf, wie strukturschwache Gemeinden besser in einer neuen Kosten-Nutzen-Analyse abgebildet werden könnten. Die Empfehlung lautet, strukturschwache Gebiete in der Kosten-Nutzen-Analyse stärker zu gewichten, um die soziale Ungleichheit zwischen Gemeinden zu reduzieren. (AS, Juni 2021)
Infobox:
Publizierbarer Zwischenbericht JustFair
Weitere Informationen:
Projekttitel: JustFair - Balancing dimensions of vulnerability, coping ability and adaptive capacity for realising social justice in climate change adaptation policy
Förderprogramm: ACRP – 10th Call (2017)
Projektlaufzeit: 2018 - 2020
Projektleitung: JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH, Dr. Sebastian Seebauer
Projektpartner: Institut für Alpine Naturgefahren, Universität für Bodenkultur (BOKU), Fresh Thoughts Consulting Gmbh